Erdoganistan: Bürgermeister von Istanbul zu Freiheitsstrafe und Politikverbot verurteilt

Bürgermeister von Istanbul zu Freiheitsstrafe und Politikverbot verurteilt

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Am heutigen Mittwoch wurde der Bürgermeister der 16-Millionen Metropole am Bosporus, Ekrem Imamoǧlu zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 7 Monaten und 15 Tagen verurteilt. Außerdem wurde ein Politikverbot gegen ihn ausgesprochen. Wenn das Urteil rechtsgültig wird, ist Imamoǧlu als Bürgermeister automatisch abgesetzt und darf auch nicht mehr bei einer Wahl antreten. Obwohl das Urteil bisher nicht rechtskräftig ist, hängt nun das Politikverbot wie ein Damoklesschwert über Imamoǧlu und verhindert unter anderem, dass er als Überraschungskandidat bei der Präsidentschaftswahl voraussichtlich im Juni gegen Erdogan antritt, was manche heimlich hoffen bzw. heimlich fürchten. Der populäre Oppositionspolitiker hätte gegen den aufgrund der hohen Inflation angeschlagenen Präsidenten Recep Tayyip Erdoǧan sicherlich gute Chancen gehabt.

Verurteilt wurde Imamoǧlu wegen Beleidigung des Vorsitzenden der Hohen Wahlkommission (YSK) und der übrigen Mitglieder der YSK. Imamoǧlu hatte die Wahl zum Bürgermeister am 17. April 2019 gegen Erdogans Kandidaten Binali Yildirim knapp gewonnen. Erdogans AKP erhob darauf Einspruch. Beweise für Unregelmäßigkeiten ließen sich aber nicht finden. Trotzdem hob die Hohe Wahlkommission die Wahl am 6. Mai auf. Bei der erneuten Wahl im Juni konnte Imamoǧlu seinen Vorsprung gegenüber Yildirim sogar um mehr als 800 000 Stimmen ausbauen und wurde nach 25 Jahre der erste Bürgermeister von Istanbul der nicht zu Erdogans AKP oder einer ihrer Vorgängerparteien gehörte. Dabei hatte Erdogan alle Hebel in Bewegung gesetzt, selbst der gefangene PKK-Chef Abdullah Öcalan hatte Erdogans Kandidaten in einem Brief indirekt unterstützt. Nach seiner Wahl kritisierte Imamoǧlu in einer einzigen Rede das Verhalten der Hohen Wahlkommission, weshalb er nun verurteilt wurde.

Der Fall erinnert in seltsamer Weise an einen anderen Bürgermeister von Istanbul. 1998 Verurteilte ein Gericht den damaligen Bürgermeister von Istanbul Recep Tayyip Erdogan ebenfalls zu einer Gefängnisstrafe und Politikverbot. Im Jahr darauf verbrachte Erdogan 4 Monate im Gefängnis. Dies konnte seine politische Karriere wie man heute weiß aber nicht beenden. Einige Monate nachdem die von anderen für Erdogan gegründete AKP im Jahr 2002 die Wahl gewonnen hatte, wurde das Politikverbot gegen Erdogan aufgehoben.

Am Nachmittag versammelte sich eine große Menge von Anhänger*innen Imamoǧlus vor dem Sitz der Istanbuler Stadtverwaltung. Zahlreiche oppositionelle Politiker und Politikerinnen begaben sich ebenfalls zu seiner Unterstützung auf den Weg nach Istanbul. Imamoǧlu ist Mitglied der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP.

jk