Demonstration gegen drohende Verseuchung des Rheintals: Umweltgruppen wollen schnelle Bergung der Giftmülldeponie StocaMine in Wittelsheim

Umweltgruppen wollen schnelle Bergung der Giftmülldeponie StocaMine in Wittelsheim

Förderturm mit Rußflecken: StocaMine in Wittelsheim

Förderturm mit Rußflecken: StocaMine in Wittelsheim
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Luc Śkaille - 2019

Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbände mobilisieren für den 23. September zur erneuten Demonstration gegen das Elsässer Giftmüllager StocaMine in Wittelsheim bei Mulhouse. Die Demo soll um 12 Uhr am Rathaus der 45 Minuten von Freiburg gelegenen Kalistadt beginnen. Über 44.000 m³ Giftmüll wurden in der ehemaligen Mine vergraben. Den OrganisatorInnen zufolge bedroht der ehemalige Salzstock mittlerweile den Grundwasserspeicher des gesamten südlichen Rheins. Der ab 1997 für etwa fünf Jahre genutzte Standort war in der Vergangenheit wiederholt Ziel der Proteste der Ökologiebewegung im Dreyeckland. Auch wenn die Zubetonierung der Minen bereits mehrfach gestoppt wurde, will die Präfektur im Herbst 2023 einen erneuten Anlauf zur Versiegelung nehmen – sehr zum Unmut der BewohnerInnen.

Industrienationen haben ein Problem mit Müll – besonders mit solchem, dessen Toxizität langfristig kaum zu reduzieren ist. Und da die industrielle Revolution nach zwei Jahrhunderten des Hardcore-Extraktivismus überall riesige Löcher und Stollen hinterlassen hat, tendiert das Kapital zur Befüllung eben jener Löcher, mit dem, was übrig bleibt. Land für Land gibt es Parallelen der „Kehren wir es unter den Teppich – Strategie“, dessen prominentestes Beispiel sich im Dreyeckland mit StocaMine in 550 Metern Tiefe unweit von Mulhouse im Alsace befindet. Es handelt sich um eine der wohl kurzfristig gefährlichsten Giftmüll-Vergrabungen der Welt – letztlich auch weil der französische Staat nicht eine Rückholung, sondern eine möglichst rasche Versiegelung ins Auge fasst.

In den Stollen der teilstaatlichen Betreiberfirma MDPA (Elsässer Potassium-Minen) brach 2002 ein Brand aus, bei dem 1775 Tonnen Abfall zerstört und 76 ArbeiterInnen verletzt wurden. Der „Unfall“ führte damals zur Stilllegung des Projektes am Fuße der Vogesen. Nach über 20 Jahren will die Regierung den lästigen Schandfleck jetzt durch Versiegelung ein, für alle Mal aus dem Bewusstsein verdrängen. Zahlreiche Auflagen zur Inbetriebnahme wurden von der Politik nicht umgesetzt. Unter anderem der begleitende Forschungspool an regionalen Hochschulen wurde nie eingerichtet. Offenbar liegt der mangelnde Willen einer Bergung nicht nur an den knapp 500 Millionen benötigten Euros, sondern auch an dem, was diese Rückholaktion an Geheimnissen lüften könnte, die die MDPA und der Staat lieber für sich behalten würden. Die von Wasserinfiltrationen betroffene StocaMine liegt unter dem größten Grundwassersee in Mitteleuropa. Sein „Sondermüll“ bedroht das Ökosystem von Basel bis Mainz und die Existenzgrundlage von etwa 7.000.000 Menschen.

Während die Bürgerinitiativen eine Grundwasserkontamination mit verheerenden Folgen in den nächsten drei Jahrzehnten für wahrscheinlich halten, verweist der Staat auf Studien, die ein solches Szenario erst in 20.000 Jahren projizieren. Eingelagert wurden in Wittelsheim offiziell unter anderem Arsen, Chrom, Zyanid und Quecksilber. Außerdem werden atomare Abfälle der Armee in der ehemaligen Potassium-Mine vermutet. ArbeiterInnen des ehemaligen Salzstocks, die bei der Einlagerung der giftigen Abfälle zugegen waren, berichten, dass die BigBags, die sich in den einbrechenden Stollen befinden, „nie für eine Rückholbarkeit ausgelegt waren“.

Weil Augenzeugen auch Paletten mit der Beschriftung „Armee française“ gesehen haben, fragt der Blog „nuclearwaste.info“, ob sich zudem radioaktive Abfälle von der Demontage der Hades- und S3-Waffensysteme in dem Wittelsheimer Tunnelsystem befinden könnten. Zeitlich könnte eine solche geheime Verklappung Ende der 1990er jedenfalls gut passen. Dies würde die Gefährlichkeit der Deponie für das oberrheinische Ökosystem noch um einiges steigern. Der Verdacht, ein Teil der eingelagerten Abfälle könne falsch deklariert worden sein, beschäftigt außerdem seit Jahren die Umweltrechtsabteilung der Staatsanwaltschaft Straßburg. Doch die Ermittlungen der Justiz lieferten bisher keine Ergebnisse.

Ebenfalls auf dem juristischen Weg gelang zuletzt Bürgerinitiativen wie Alsace Nature oder dem BUND, die Pläne der französischen Regierung, StocaMine mit Zement zu versiegeln, zu stoppen. Die Forderung bleibt eine Rückholung und Neuverpackung des Mülls – wie etwa beim Atommülllager ASSE in Niedersachsen. Sogar, die deutsche Bundesgesellschaft für Endlagerung BGE hält so ein Projekt für machbar. Die Regierungspräsidentin des Bezirks Freiburg Bärbel Schäfer gibt sich auf Rückfrage der TAZ jedoch auch in diesem Sommer gelassen und verweist auf nationale Zuständigkeiten, nach dem Motto "Dieser Ökozid gehört aber euch". Es sei die "nationale Souveränität" zu respektieren. Alain Carrier, der zuständige Unterpräfekt in Mulhouse, gab am 27. Juli seine erneute Zustimmung zur Versiegelung der Deponie. Die Politik argumentiert mit Studien, die allesamt von der MDPA initiiert wurden. Im Juli gab die "Kommission für Öffentlichkeitsbeteiligung" ihr grünes Licht für die unumkehrbare Verschließung der Galerien.

Eine mögliche Perspektive für die Durchsetzung der Forderung einer Räumung ist, wie so oft, in der internationalen Zusammenführung der Proteste zu finden. Im August demonstrierten UmweltschützerInnen sogar in Frankfurt-am-Main gegen StocaMine. Auch der Basler Klimastreik machte die toxische Deponie und die Unverantwortlichkeit der französischen Politik jüngst zum Thema. Damit die Bergung des Abfalls eine realistische Perspektive bekommt, ist es laut den OrganisatorInnen wichtig, dass am 23. September „möglichst viele UmweltschützerInnen aus dem Dreyeckland“ nach Wittelsheim fahren.

LS