Großdemonstrationen gegen landwirtschaftliche Wasserrückhaltebecken : Fingerstrategie in Frankreich entwickelt breiten Aktionskonsens

Fingerstrategie in Frankreich entwickelt breiten Aktionskonsens

Am Wochenende des 29. und 20. Oktober versammelten sich unterschiedlichen Angaben zufolge über 7.000 UmweltschützerInnen in Deux-Sèvres in Westfrankreich, um gegen Bauprojekte neuer Wasser-Rückhaltebecken der Agrarindustrie zu protestieren. Ein großes Camp, Sabotage-Aktionen und mehrere entschlossene Demonstrationen hielten die 2.000 Ordnungskräfte auf Trab. Der in Sainte-Soline begonnenen Versammlung gelang es mit einer von „Ende-Gelände“ inspirierten „Fingerstrategie“ bis zur Großbaustelle vorzudringen. Dabei geriet der rote Finger in handfeste Auseinandersetzungen mit den Gendarmen.


Die Wasserrückhaltebecken oder „Mégabassines“ haben Rückhaltekapazitäten von über 600.000 Kubikmeter und werden seit mehreren Jahren von einem Konglomerat an Großbauern besonders in der Region entwickelt. Dabei geht es darum außerhalb der Saison das Grundwasser, als Reserve in die gigantischen Becken zu pumpen, um die Wasserbedürftigen Raps- und Maisplantagen im Sommer zu bewässern. Die Kritik der DemonstrantInnen: Das Konzept ist unvereinbar mit dem Wunsch nach Dezentralisierung und dem notwendigen Umbau der auf Monokultur setzenden Großlandwirtschaft, beschädigt das Ökosystem zusätzlich und ist zutiefst undemokratisch. So entschlossen sich hunderte Beteiligte der Erde das Wasser zurückzugeben: Mindestens eine komplette Wasserleitung wurde entfernt und Baustellenabschnitte sabotiert.
Im Zuge der Demonstrationen von Samstag eskalierte die Auseinandersetzung in Form handfester Riots auf den herbstlichen Ackerflächen. Dabei warfen die Protestierenden zum Teil Steine und Brandsätze. Ordnungskräfte setzten massig Tränengas ein. Dutzende DemoteilnehmerInnen wurden durch den Einsatz TNT-haltiger Blendschockgranaten und Gummigeschosse verletzt. Es gab mehrere Festnahmen und Schnellverfahren in der Kreisstadt Niort.
Das im Rahmen der Kampagne „Soulèvement des Terres“ erfolgte Aktionswochenende war eine Steigerung in Sachen Mobilisierung und Militanz.

Nachdem vergangenes Jahr mit der Unterstützung von lokalen Initiativen vor allem ein breites Netzwerk aufgebaut wurde, wird das Ziel der UmweltschützerInnen immer deutlicher. Die Versiegelung fruchtbarer Böden muss gestoppt, das Monopol der Agrarkonzerne durchbrochen und der Zugang zu Land für eine kleinbäuerliche Landwirtschaft erkämpft werden. Unter anderem wird die Kampagne auch von der KleinbäuerInnen-Gewerkschaft „confédération paysanne“ getragen. Zahlreiche umweltpolitische AkteurInnen wie XR-Frankreich und diverse Kooperativen und kleinbäuerliche Höfe mobilisieren zu den Aktionen. Direkte Auseinandersetzungen hatte es im Kampf um die „Mégabassines“ bereits 2021 gegeben. Nahe Paris gab es eine öffentliche Sabotage-Aktion von Zementwerken, in Besançon wurde Land besetzt. Dieses Jahr begann mit einer Landbesetzung im Jura und markierte frankreichweit Brennpunkte der Agrarindustrie. Im März gab es Aktionen und Demonstrationen gegen den Gentechnik und Pestizidriesen Monsanto-Bayer bei Lyon. Zur kürzlichen Weinernte versammelten sich hunderte AktivistInnen auf den Flächen eines Weingutes der börsennotierten Luxusgruppe „LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton“ im Var in der Provençe. Dort wurden ungefragt Reben geerntet, gepresst und als Solidaritätssaft in der Bewegung in Umlauf gebracht.

Weitere Mobilisierungen der „Soulèvements des Terres“ sind in Planung. Wie schon am vergangenen Wochenende ist damit zu rechnen, dass diese von den Behörden im Vorfeld verboten werden. Und es ist damit zu rechnen, dass der ländliche Widerstand in Frankreich diese Verbote wie in Sainte-Soline umfassend ignorieren wird.

LS