Apropos Grundrechte

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Apropos Grundrechte

Beim Querdenken, je mehr man es übt, entfalten die Worte im Kopf fast von selbst ein flatterndes Eigenleben. Das bloße Wort „Ermächtigung“ reicht und schon nistet Hitlers „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24. März 1933 in den Köpfen und reckt drohend den gefährlichen Schnabel. Der ungenaue Umgang mit Worten, bei denen es wenig bis garnicht auf ihr Verhältnis zur Realität, aber viel auf ihren alarmierenden Effekt ankommt, ist ein durchgängiges Merkmal der Proteste gegen die Anti-Corona-Maßnahmen.

 

Es geht um „Freiheit“ und zugleich dürfen Rechtsradikale mitlaufen, denen man im Ernst nicht unterstellen kann, dass sie auch die Freiheit anderer respektieren wollen. Die Fahne des Kaiserreichs darf lustig wehen, obwohl man doch aufgebrochen war, das Grundgesetz zu verteidigen. Man kämpft gegen ein „Ermächtigungsgesetz“, das nach eigenwilliger Interpretation eine Entmachtung des Parlaments bedeutet und zugleich stört man sich nicht daran, dass zum Sturm auf eben dieses Parlament aufgerufen wird. Was sollen Symbole der Friedensbewegung auf einem Marsch gegen ein Gesetz zur Seuchenbekämpfung? Will die Bundesregierung gegen das Virus etwa heimlich Pershing-Raketen stationieren und wir haben es nur noch nicht bemerkt?

 

Nicht völlig falsch ist, wenn darauf hingewiesen wird, dass Maßnahmen im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes tatsächlich Grundrechte einschränken. Doch der Begriff verschiebt den Blickpunkt von einer Debatte um harte aber vielleicht doch notwendige Maßnahmen zu einem Kampf um ganz grundsätzliche Freiheitsrechte. Es ist notwendig, das etwas konkreter zu machen.

 

Grundrechte sind allgemeine Rechte, die im Prinzip jedem Menschen gegenüber dem Staat zustehen. Dazu gehören unterschiedliche Rechte wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde, der Gleichheitsgrundsatz, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Recht auf ein faires Verfahren, die Glaubensfreiheit, die Meinungsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die freie Berufswahl und viele mehr. In Deutschland sind die Grundrechte in den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes gesammelt.

 

Der Querdenker*innentrick ist nun, so zu tun als wäre ein Eingriff in die Grundrechte etwas ganz schlimmes und außergewöhnliches, eben weil diese Rechte Grundrechte heißen. In Wirklichkeit gibt es sicher hunderte Gesetze, die in die Grundrechte eingreifen. Im Rahmen eines Gesetzes wie z. B. des Infektionsschutzgesetzes können auch Rechtsverordnungen in Grundrechte eingreifen. Rechtsverordnungen zu erlassen kann der Bundestag die Regierung durch ein Gesetz ermächtigen. Nachzulesen im Grundgesetz Artikel 80, wo auch ganz unbemerkt schon das Schreckenswort „Ermächtigung“ steht.

 

Ein weiterer Trick ist, von den Grundrechten zu sprechen, so als würden sie jetzt alle nicht mehr gelten.

 

Wenn man sich die Grundrechte durchsieht, so kommt man auf relativ wenige, die aktuell betroffen sind. Da ist sicher die Versammlungsfreiheit betroffen, was sich bei einer Epidemie aber auch irgendwie rechtfertigen lässt. Außerdem werden gerade Querdenker-Demos und Querdenker-Mahnwachen in der Regel erlaubt, selbst wenn Kundgebungen aus dem linken Spektrum gleichzeitig verboten werden.

 

In Frage kommt ferner das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Bei erzwungenen Tests und natürlich bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Impfung käme das ins Spiel. Minister Spahn wird nicht müde zu erklären, dass er keinen Impfzwang gegen Covid-19 will. Da sagt der YouTube-Kanal halt immer was anderes.

 

Wenn man nach weiteren Grundrechten sucht, die eingeschränkt werden, dann komme ich nur auf allgemeine Posten: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Allgemeine Handlungdfreiheit und im Falle des Zwangs zur Quarantäne die Freiheit der Person. Wer durch Nichteinhalten einer Quarantäne andere gefährdet, sollte nicht auf „Freiheit der Person“ pochen.

 

„Freie Entfaltung der Persönlichkeit“ und „Allgemeine Handlungsfreiheit“ mögen für einige zusammenfallen und werden dann zum Problem.

 

Letztlich würde eine unbeschränkte „Allgemeine Handlungsfreiheit“ ja bedeuten, dass man alles tun darf was einem in den Sinn kommt. Dass die „Allgemeine Handlungsfreiheit“ eingeschränkt werden kann, haben wir vermutlich bereits das erste Mal im Kindergarten erfahren als uns die Erzieherin belehrte, dass man einem anderen Kind nicht die Puppe wegnehmen darf. Nur damals wussten wir noch nicht, dass wir uns da auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit berufen und dann das Kind, das der verlorenen Puppe nachweint, auch noch gleich an den Haaren ziehen können.

 

Seit dieser Grundrechtsverweigerung im Kindergarten mussten wir immer wieder erleben wie Stoppschilder, Überholverbote, Ladenschlussgesetze, Sperrstunden, die ganzen Strafgesetze, das Tierschutzgesetz, die Düngemittelverordnung, das Wettbewerbsrecht, ja richtig auch das Infektionsschutzgesetz und vieles mehr unser Grundrecht auf Allgemeine Handlungsfreiheit und damit wohl auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit permanent einschränken.

 

Man sollte schon benennen in welche Grundrechte in welcher Weise, wie lange und zu welchem Zweck eingegriffen wird. Die Schwere eines Grundrechtseingriffes bemisst sich auch nicht alleine an der Zahl der potentiell Betroffenen - siehe Stoppschild. Bevor man pauschal von schwersten Eingriffen spricht sollte man benennen, in welche Rechte eingegriffen wird, ob vorübergehend oder permanent eingegriffen wird und ob der Eingriff begründbar ist, zum Beispiel durch den Schutz eines anderen Grundrechtes wie zum Beispiel des Rechtes auf Leben.

 

Damit soll nicht bestritten werden, dass die gegenwärtigen Eingriffe für alle hart sind und für manche härter als für andere. Schuld ist aber einzig das Virus.

 

Während uns das Infektionsschutzgesetz begreiflicherweise umtreibt, bleiben andere Eingriffe in die Grundrechte in der Öffentlichkeit oft nahezu unbemerkt. Da ist etwa das vom deutschen Ministerium für Inneres und Heimat auf EU-Ebene angestoßene Vorhaben, sichere Verschlüsselung im Internet einzuschränken, was praktisch auf deren totale Aufgabe hinausläuft. Das bedeutet die Einschränkung bzw. nahezu Abschaffung folgender Grundrechte: Recht auf Privatsphäre, Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, alles Grundgesetz Artikel 2 und natürlich das Post- und Fernmeldegeheimnis. Überhaupt sind die Polizeigesetze ein ständiger Quell neuer Grundrechtseinschränkungen und zwar im Gegensatz zu den Corona-Verordnungen von permanenter Natur.

jk