Palmers Öffnungsposse

Palmers Öffnungsposse

Im Landkreis Tübingen ist die Inzidenz mittlerweile (2. 4.) auf 131,6 Fälle pro 100 000 Einwohner*innen in 7 Tagen gestiegen. Deshalb tritt ab dem 6. April im Landkreis Tübingen die Notbremse in Kraft. Das am 15. März genehmigte und kürzlich bis 18. April verlängerte Test-und-Öffnungsexperiment von OB Boris Palmer ist davon aber nicht betroffen. In verschiedenen Medien (z. B. Die Welt) wurde Palmers Experiment bereits als Erfolg gefeiert. Dabei steigt die Inzidenz nicht nur im Landkreis, sondern auch in der Stadt und zwar von knapp unter 20 am 18. März auf 89 am vergangenen Mittwoch. Eine neue amtliche Berechnung liegt nicht vor. Doch nach Angaben auf der Webseite des Gesundheitsamtes vom 1. April gab es in der Stadt innerhalb von einer Woche 105 neue Fälle. In Tübingen leben 91 500 Menschen. Daraus ergibt sich eine Inzidenz von 114,7. Palmer versuchte das vorige Ergebnis von knapp 90 in einem Interview mit dem ZDF mit allerlei Argumenten schön zu reden. Mehr Testen bedeute auch mehr Fälle. Ein Ausbruch in der Erstaufnahme ("hinter Stacheldraht") sei mit einer Inzidenz von 15 abzuziehen und dann gibt es da noch die Auswärtigen, die aber mittlerweile ausgesperrt wurden und schließlich steige ja die Inzidenz auch andernorts. Ein Anstieg auf beinahe das Sechsfache innerhalb von nur 14 Tagen, hat ihn bisher noch nicht zum Umdenken veranlasst. Auch das Sozialministerium scheut sich offensichtlich davor, den Abbruch des Experimentes zu verordnen. Man kann gespannt sein, ob ab 6. April im Landkreis wieder verschärfte Regeln gelten und in Tübingen selbst weiter die größte Lockerheit in der gesamten Republik.

Dass eine große Zahl von Tests zu mehr entdeckten Fällen führt, ist sicherlich nachvollziehbar, aber ebenso nachvollziehbar ist, dass dieser Effekt nur für die ersten Tage reklamiert werden kann. Dann sollte sich der Effekt aber umkehren. Weil mehr Fälle entdeckt wurden, können auch mehr Infektionsketten frühzeitig unterbrochen werden. Das heißt weil die Bevölkerung gut getestet ist, sollte Tübingen eigentlich einen geringeren Zuwachs an Infektionen haben als andere Städte, in denen die Bevölkerung nicht ständig getestet wird. Dies müsste so allmählich sichtbar werden. Jedenfalls hat die Gleichung "mehr Tests = mehr Inzidenz" nach ein paar Tagen als Erklärung ausgedient.

In seinem Podcast im NDR bemängelte Christian Drosten an "Experimenten" wie dem in Tübingen unter anderem, dass vorher nicht festgelegt würde, wie man den Erfolg bzw. Misserfolg des "Experimentes" definiert. Außerdem seien keine eindeutigen Kriterien für einen Abbruch festgelegt. Er riet dringend, mit solchen Experimenten zu warten, bis die Inzidenz wesentlich niedriger sei.

Zugegeben, einen gewissen Zauber haben Bilder von Menschen, die wieder entspannt und fröhlich in Cafés sitzen können, ja schon. Eventuelle Folgen sind dann ja nicht mehr auf der Aufnahme.

jk