Medienschelte für Bundestag wegen „business as usual“ nach Selenskyj-Rede

Medienschelte für Bundestag wegen „business as usual“ nach Selenskyj-Rede

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat schon vor dem Unterhaus, dem EU-Parlament, dem kanadischen Parlament und dem US-Kongress gesprochen. Da musste sich wohl auch der Bundestag so eine Rede geben, einschließlich „standing ovations“ natürlich. Leider muss man es so zynisch sagen.

In der Rede bekam die deutsche Politik die Schelte, die man erwartet hatte, vielleicht etwas detaillierter und härter als befürchtet. Die FAZ resümierte: „Noch nie bekam der Bundestag von einem Gast zu hören, das ‚Nie wieder!‘ sei ‚einfach nichts wert.‘“ Und Selenskyj bat eindringlich um Hilfe. Und was folgte im Bundestag, Glückwünsche an Abgeordnete und dann der nächste Tagesordnungspunkt. Die CDU/CSU verlangte, von der Linken und der AfD unterstützt, die Tagesordnung zu ändern, der die CDU/CSU Vortag noch zugestimmt hatte. Die Ampel machte einfach weiter.

            Der Spiegel kommentierte „Tag der Würdelosigkeit“, die Abgeordneten hätten sich bis auf die Knochen blamiert. „An Peinlichkeit nicht zu überbieten“ schreibt Kristina Dunz beim Redaktionsnetzwerk Deutschland und vergisst in diesem Zusammenhang auch nicht die unnötige Rede von Katrin Göring-Eckardt zu erwähnen, die sie hielt ehe Selenskyj sprechen durfte. Da konnte Selenskyj auf Kosten seiner Redezeit erfahren, dass in der Ukraine derzeit schreckliches vorgeht, dass man das in Deutschland weiß und trauert. Die New York Times fasste den Vormittag so zusammen: „Selenskyj zum Bundestag: Mein Volk stirbt. Helfen Sie uns, den Krieg zu beenden, die Demokratie zu verteidigen. Bundestag: Sorry, aber wir müssen nochmal über Impfstoffe reden.“

            Jürgen Webermann kommentierte für das NDR Info: „Ich schäme mich für das, was wir heute Vormittag im Bundestag sehen und hören mussten. Da wird der Präsident eines Staates zugeschaltet, in dem jeden Tag Massaker geschehen, Kinder getötet werden. Ein Staat, der überzogen wird mit dem schlimmsten Krieg in Europa seit 1945. Präsident Selenskyj bittet erneut verzweifelt darum, mehr zu tun (…) Und was macht unser Bundestag? Kümmert sich danach um Glückwünsche an die Abgeordneten, die Geburtstage oder andere Jubiläen haben und debattiert weiter über die Impfpflicht. Business as usual. Eine Aussprache und eine Debatte darüber, ob wir genug unternehmen gegen diesen unerträglichen Krieg: Fehlanzeige.“

            Es müsse ja nicht gleich eine Flugverbotszone sein, gegen die es gute Argumente gäbe, aber wir hätten andere Mittel. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) male das Bild von hunderttausenden von Arbeitslosen an die Wand, obwohl die meisten Ökonomen einen Importstopp von Öl und Gas aus Russland für möglich hielten. So weit der Kommentar des NDR. Hier kann man auch noch einen Vorwurf wiederholen, den Selenskyj den Deutschen bei seinem Auftritt im Vor- und Pflichtprogramm des Bundestages gemacht hatte: „Ihr sagt nur: ‚Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft!‘“

            Bei einer Pressekonferenz am Nachmittag wurde Bundeskanzler Olaf Scholz unter anderem gefragt, was er Selenskyj antworten wolle. Scholz holte groß aus, wie bewegend er die Rede fand und wie oft er vorher schon mit Selenskyj ja sogar lange gesprochen habe. Die Frage nach der Antwort hatte er aber mittlerweile wohl vergessen.