Gerichte in Europa befassen sich zunehmend mit der Klimakrise

Gerichte in Europa befassen sich zunehmend mit der Klimakrise

Urgenda war 2013 die erste NGO, der es gelang, eine Regierung vor einem öffentlichen Gericht erfolgreich zu verklagen. Sie hatte den niederländischen Staat vor dem Gericht in Den Haag auf eine stärkere Reduzierung der Emissionen verklagt, um die Bevölkerung vor den Folgen der Umweltverschmutzung und des Klimawandels besser zu schützen. Mittlerweile werden häufiger Klimaklagen bei Gerichten innerhalb der Europäischen Union eingereicht. Dabei sind laut dem österreichischen Umweltbüro die rechtlichen und argumentativen Herangehensweisen dabei durchaus unterschiedlich. Sie beziehen sich sowohl auf öffentliche als auch auf unternehmerische Verpflichtungen.

Zugleich nehmen die europäischen Gerichte die Klimakrise offenbar häufiger ernst, wie das österreichische Umweltbüro nach einer Verweise auf zwei kürzliche Entscheidungen deutscher Gerichte in der Causa Klimaschutz sowie gegen einen niederländischen Ölkonzern herausgefunden hat.

Die Gerichte stützen sich insbesondere auf die Aussagen des Weltklimarats (IPCC) in dessen Sachstandsberichten, welche die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Emissions-Szenarien darlegen. Diesen Szenarien entsprechend wären bis 2030 umfassende politische Maßnahmen nötig, und bis spätestens 2050 Klimaneutralität sicherzustellen. Zudem verpflichtee das "Übereinkommen von Paris" die Vertragsstaaten dazu, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C oder wenigstens auf 1,5 °C seit dem Jahr 1990 zu begrenzen. Übersehen wird dabei allerdings, daß das "Übereinkommen von Paris" aus dem Jahr 2015 keine vertraglichen Verpflichtungen enthält, sondern - auf Druck der US-Regierung unter Barack Obama - lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung darstellt. Die Möglichkeiten, überschießende Emissions-Reduktionen – wie etwa im Rahmen des Zertifikatehandels – zu übertragen bzw. anzurechnen, erachten die beiden Gerichte nach aktuellem Stand als unzureichend.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hielt in einer Entscheidung zum deutschen Klimaschutzgesetz indes fest, daß der Gesetzgeber sich an einem bestimmten Treibhausgas-Budget zu orientieren hat, also einer bestimmten Menge an Treibhausgasen, die jeder Staat der Welt insgesamt noch emittieren darf, um das globale Klimaziel noch zu erreichen. Anhand dieser Berechnung stellte das deutsche Bundesverfassungsgericht fest, daß zu großzügig zugelassene Treibhausgas-Emissionen bis 2030 Minderungslasten auf Kosten künftiger menschlicher Freiheit auf die Zukunft verschieben. "Klimaschutz-Maßnahmen, die gegenwärtig unterbleiben, um Freiheit aktuell zu verschonen, müssen in Zukunft unter möglicherweise noch ungünstigeren Bedingungen ergriffen werden und würden dann identische Freiheitsbedürfnisse und -rechte weit drastischer beschneiden," argumentierte das Bundesverfassungsgericht.

Dabei berücksichtigte das Bundesverfassungsgericht auch, daß die Zeitspanne für technische Entwicklungen bei einem schnelleren Verbrauch des Treibhausgas-Budgets knapper wird. In seiner Argumentation stützt sich das Bundesverfassungsgericht insbesondere auf das im deutschen Grundgesetz festgelegte Freiheitsrecht sowie das verfassungsrechtlich festgelegte Klimaschutz-Gebot, das Deutschland zu einer Forcierung einer Lösung der Klimakrise auch international sowie zur unbedingten Setzung nationaler Klimaschutz-Maßnahmen verpflichtet. Demnach soll das internationale Vertrauen in die Realisierung der Klimaschutz-Ziele gestärkt werden und anhand einer klaren rechtlichen Rahmenregelung zur Reduktion von Emissionen Vorhersehbarkeit und Verbindlichkeit dargestellt werden.

Darüber hinaus sind Vorgaben auch über das Jahr 2030 bereits frühzeitig verfassungsrechtlich geboten, um künftige Freiheit nicht "radikal und ersatzlos beschneiden zu müssen". Mittels dieser Begründung anerkannte das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde jener natürlichen Personen, die in Deutschland leben und somit durch unverhältnismäßig strenge zukünftige Freiheitseinschränkungen betroffen sein könnten. Allerdings erachtete das Gericht Beschwerden von Personen als unzureichend, die geltend machten, daß ihnen durch den Klimawandel die Möglichkeit der Fortführung eines elterlichen Unternehmens verwehrt würde. Schließlich verwies das Bundesverfassungsgericht auch darauf, dasß noch nicht geborene Menschen oder zukünftige Generationen in Deutschland keine subjektiven Grundrechte geltend machen können - zumindest nicht nach dem gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung.

Aktuell ist auch gegen Österreich wegen einer Verletzung der Rechte auf Leben und Gesundheit durch unzulängliche Klimaschutz-Maßnahmen eine Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängig. Zwar bekennt sich Österreich im Rahmen des BVG Nachhaltigkeit bisher zwar zu umfassendem Umweltschutz - eine verfassungsrechtliche Absicherung der Klimaschutz-Ziele fehlt im Klimaschutzgesetz (KSG) jedoch noch genauso  wie die nötigen Vorgaben zur Reduktion von Treibhausgasen über das Jahr 2020 hinaus. Im Sinne der Rechtssicherheit sind daher laut Umweltbüro klare langfristige Emissions-Vorgaben auch in Österreich notwendig. Diese sollen demnächst in das derzeit in Überarbeitung befindliche KSG aufgenommen werden.