Eurotopia im Theater Freiburg: Ein Abend vieler Perspektiven - auf Kosten klarer Stellungnahmen?

Ein Abend vieler Perspektiven - auf Kosten klarer Stellungnahmen?

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Theater Freiburg

Endlich war es zu sehen, zu hören, auch zu fühlen. Nach dem langen Vorlauf mit dem 'Europäischen Hinterzimmer' ging vergangenen Samstag 'Eurotopia' nun endlich über die Bühne des Großen Hauses. Dort wurden an dem rund dreistündigen Theaterabend die unterschiedlichsten Theaterformen aufgefahren: fulminante Kurzoper, Dokumentar-Sprechtheater, Tanz ... Wobei einzelne Formen, wie die Videoprojektion von Ruud Gielens im Grunde nur einer Leinwand bedurfte -Kino mit einfacher Youtube-Ästhetik im Theater.

Es war ein Abend der unterschiedlichsten Perspektiven, auch weil das Publikum zwischen Publikumsraum und Sitzrängen auf der großen Bühne wechseln musste und zum Teil auf der Bühne selbst Platz nehmen durfte. Der Abend bestand aus sechs rund 30 minütigen Teilen, gestaltet von unterschiedlichen Künstler_innen. Im Grunde handelt es sich um sechs eigenständige Kurztheaterstücke, die auf den ersten Blick nichts miteinander verbindet, selbst die Requisiten, großteils geschreinerte Kanzeln und Podeste (auch eine kleine Bierkiste ist dabei) - Werkzeuge der offenen, freien Rede - wurden nur von einzelnen genutzt. Künstlerisches und inhaltliches Nebeneinander war vorprogrammiert,  ein intensives, beziehungsreiches Miteinander wohl nicht zu erwarten. Sinnbild für die Utopie Europas, für ein Eurotopia? Und wie ist das einzustufen: Als Schwäche oder doch eher als eine Stärke des Abends (und damit Europas)?

Vieles bleibt den Assoziationen des Publikums überlassen.

Einmal abgesehen von der Kurzoper Memet Ali Alaboras (Musik: Evrim Demirel), die den Mythos von der Verführung Europas durch Zeus in Tiergestalt zum Thema hat und dem vielleicht ambivalentesten Teil des Abends von Jark Pataki, der Leni Riefenstahl auferstehen läßt, haben die Menschen selbst das Wort. Vor allem solche, die in der Regel nicht zu Europa gezählt werden oder längst als abgeschrieben gelten, wie die jugendlichen Straftäter aus Lille oder Jugendliche aus Kairo (mit irritierend schrägen Projektionen auf Europa) oder drei People of Colour aus Freiburg, die der in Freiburg lebende Kongolesische Tänzer und Choreograf Faustin Linyekula auf die Bühne schickt. Die Drei bilden dann auch den Abschluss des Abends und setzen ein mächtiges Statement gegen die eigene Unsichtbarkeit als Freiburger - in einer Performance die einerseits laut und und wütend ist, andererseits aber in einer ruhigen Erzählung und einem leisen Ausdruckstanz von den Zuschreibungen und Zumutungen der weißen mehrheitsgesellschaft erzählt und vom Ringen um eine eigene Identität.

Rechtspopulismus? Orban? Le Pen? Erdogan? Frontex?

Mit wenigen Ausnahmen war es kein Abend mit aktuellen Stellungnahmen, kein Abend, der sich am Rechtspopulismus, der Festung Europa (ein Projekt zu Frontex war wohl angedacht, kam aber nicht zu Stande) oder der Abschaffung der Demokratie in der Türkei widmet - wobei an die inhaftierten Journalist_innen erinnert wurde. Vielleicht hätte der Abend weniger zerstückelt und beliebig sein können, schärfer in der politischen Positionierung - so war er aber auch ein Abend, an dem das Freiburger Theaterpublikum gezwungen wurde sich abseits der scheinbar vertrauten Tagesaktualität mit eigenen Projektionen zu Identität und 'Urspünglichkeit' auseinanderzusetzen (Jarg Patakis Stück), sich zu fragen, was man angesichts der rührend unbeholfenen Europa-Bilder ägyptischer Jugendlicher wohl selbst über Afrika, Asien und das Andere denkt und letztlich die 'Freiburg Files' der drei Freiburger_innen of Colour zur Kenntnis zu nehmen, die das Publikum schließlich baten auf der Bühne selbst Platz zu nehmen und damit zumindest schon mal eine Grenuze aufgehoben wurde.

Jenny Warnecke und Andreas Reimann tauschen sich über ihre Eindrücke von dem Abend uas.