Dramatische Zunahme an Vergiftungen durch Pflanzenschutzmittel: "Besorgniserregend sind die in der EU verbotenen Pestizide"

"Besorgniserregend sind die in der EU verbotenen Pestizide"

Welche Länder sind am meisten betroffen - und in welcher Verantwortung steht hier die EU. Darüber sprach der südnordfunk mit dem Toxikologen Peter Clausing, er ist Autor und Mitherausgeber der Studie über unbeabsichtigte Vergiftungen mit Pestiziden. Zunächst die Frage: ist es nicht auch erfreulich, dass immerhin die Zahl der dokumentierten Todesfälle abgenommen hat?


HINTERGRUND
Die EU hat den Einsatz vieler gefährlicher Pflanzenschutzmittel in ihren Mitgliedsstaaten verboten. Doch vor allem große Agrochemie-Unternehmen produzieren diese weiterhin, auch in Europa, und sie exportieren diese Pestizide völlig legal. Das Geschäft boomt sogar.

Die beliebtesten Reiseziele der in Deutschland produzierten Pestizide und deren Wirkstoffe – das sind die vier Mercosur-Staaten: Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Das hat die NGO Power Shift gemeinsam mit weiteren Umwelt und Entwicklungsorganisationen dokumentiert (den Naturfreunden, ATTAC Deutschland, AndersHandeln Österreich, dem Forum Umwelt und Entwicklung und dem Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL):

Die EU hat ein Handelsabkommen mit diesen Mercosur-Staaten abgeschlossen (wenngleich noch nicht unterschrieben). Kommt es zur Unterschrift, so wird aller Voraussicht nach die  Einfuhr von Pestiziden  - auch von hochgiftigen - in den Mercosur billiger. Damit wird sich voraussichtlich die Einfuhrmenge erhöhen. Das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) führt eine umfassende Liste hochgefährlicher Pestizide - darauf sind derzeit 310 Wirkstoffe zu finden. Darunter auch Glyphosat, das meistgenutzte Pflanzenschutzmittel im Mercosur - ein Breitbandherbizid, das im Verdacht steht, Krebs zu erregen.

Doch gefährlich ist nicht nur das bekannte Glyphosat: Von 150 Pestiziden, die im Anbau von Sojabohnen verwendet werden, sind 35 in der EU nicht zuglassen, aus Gründen des Umwelt und Gesundheitsschutzes.

Das Schweizer Unternehmen Syngenta ist - laut Recherche der Schweizer NGO Public Eye  - der Pestizidverkäufer Nummer eins – sowohl in Brasilien wie auch weltweit. Allein in Brasilien werden der NGO zufolge  21 Wirkstoffe verkauft, die auf der Liste des Pestizid Aktions Netzwerkes stehen und von denen zehn in der Schweiz oder in der EU nicht zugelassen sind.

Doch auch von der anderen Seite des Atlantik gibt es alarmierendes zu berichten. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro gab laut der Aussage einer Anwaltskanzlei innerhalb der ersten 100 Tage seiner Präsidentschaft grünes Licht für 152 Pestizide, die zuvor in Brasilien verboten waren. Professorin Larissa Bombardi von der Universität São Paulo stellte in einer Studie fest, dass von 504 in Brasilien zugelassenen Pestizidwirkstoffen 149 in der EU verboten sind, so die NGO Corporate Europe Observatory.

Der Export hochgiftiger Agrarchemikalien ist primär für die Landwirt*innen ländlichen Gemeinden der Importländer ein Gesundheitsrisiko - zudem kommen Rückstände der Gifte in exportierten Futtermitteln und Lebensmittel zurück nach Europa.

Doch bleiben wir zunächst bei den durch die Agrargifte verursachten unbeabsichtigten Vergiftungen.

Einer im Dez 2020 veröffentlichten Studie des Pestizidaktionsnetzwerkes (PAN) zufolge ist der Einsatz giftiger Pflanzenschutzmittel weltweit seit 1990 um über 80 Prozent gestiegen. Anstelle der von der WHO statistisch 1990 errechneten 25 Million Pestizidvergiftungen treten nun 385 Millionen Fälle jährlich auf.

Welche Länder sind am meisten betroffen - und in welcher Verantwortung steht hier die EU. Darüber sprach der südnordfunk mit dem Toxikologen Peter Clausing, er ist Autor und Mitherausgeber der Studie über unbeabsichtigte Vergiftungen mit Pestiziden. Zunächst die Frage: ist es nicht auch erfreulich, dass immerhin die Zahl der dokumentierten Todesfälle abgenommen hat?


Mehr Infos:

https://pan-germany.org/pestizide/dramatischer-anstieg-der-globalen-pest...

Die Studie ist frei verfügbar

https://bmcpublichealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12889-020-09...