Schnellschuesse - Die naechste Runde - Kurzkritiken aus Cannes

Schnellschuesse - Die naechste Runde - Kurzkritiken aus Cannes

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Takashi Miike und seine Crew bei der Premiere von
Lizenz: 
Keine (all rights reserved)

Und weiter geht's mit den letzten Filmen, die ich in dem tobenden Irrsinn hier gesehen habe...

- "Ai to makoto"/"For love's sake", Regie: Takashi Miike (Japan)
Im Wettbewerb, aber ausser Konkurrenz laeuft das neueste Werk des zwar noch nicht so alten, aber doch bereits als "legendaer" zu bezeichnenden japanischen Regisseurs Takashi Miike ("Audition", "Big bang love", "13 assassins" u.a.). Aber, aber, aber... Trotz der eindrucksvollen Atmosphaere im Lumiere, dem groessten aller Festivalkinos, dem coolen Late-Night-Screening, das erst weit nach Mitternacht begann (und bis gut 3 Uhr nachts dauerte), und nicht zuletzt trotz der Anwesenheit des Regisseurs selbst - war das Ganze einfach nix!
Ich bedauere es selbst, es sagen zu muessen, aber die Geschichte um einen Underdog, der eigentlich von der Schule fliegen soll, aber aufgrund der Intervention eines Maedchens aus reichem Hause auf einer Eliteschule landet und sich dort durchpruegelt, ist einfach voellig langweilig.
Endlose Kaempfe zwischen verschiedenen Gangs, die alle regelmaessig von unserem Kunf-Fu-Ass vermoebelt werden, und ein bisschen genreuebliche Highschool-Romantik, wie wie sie aus tausenden von US-Filmen kennen. Okay, mit weniger Kitsch, oder vielleicht auch mit ein wenig Ironie, aber sonst?
Leider, leider... Entgegen Miikes Talent und Originalitaet ist dieses Werk abgedroschene Highschool-Ware mit (unspektakulaeren, dafuer aber endlos langen) Martial-Arts-Einlagen. Erstaunlicherweise bin ich dennoch wach geblieben - viele meiner Nachbarn im Saal jedoch nicht...
Immerhin: Einmal Miike in persona gesehen zu haben, ist ja auch was...!

- "Gangs of Wasseypur", Regie: Anurag Kashyap (Indien)

Der indische Regisseur Anurag Kashyap mit vier seiner Darstellerinnen bei der Praesentation seines Films

Alle reden von Bollywood, aber allmaehlich entwickelt sich auch in Indien wieder eine reiche Independent-Szene, wie es sie frueher auch schon einmal gegeben hatte. Regisseure wie Satyajit Ray (dessen Klassiker mit dem Titel "Das Musikzimmer"/"Jalsaghar" zum weltweiten Kanon der wichtigsten Filme aller Zeiten zu zaehlen sein duerfte) hatten im indischen Kino neben den ganzen Tanz-und-Liebe-Musicals im Bollywood-Stil auch ein anspruchsvolles Arthaus-Kino etabliert und entwickelt, das allerdings durch die Macht der grossen, kommerziellen Studios ziemlich verdraengt worden war.
Aber es wurde dieses jahr in Cannes allgemein zur Kenntnis genommen, dass mit drei indischen Independents das unabhaengige indische Kino zurueckzukommen scheint.
Die "Gangs of Wasseypur", ein enorm langer Zweiteiler (beide Teile sind jeweils 2 Stunden 40 Minuten lang!), waren leider dennoch keine Erfuellung: Eine endlose Abfolge von Schiessereien und blutigen Hinrichtungen, durchschnittenen Kehlen und anderen Mordmethoden, mit denen sich zwei verfeindete Familien und Banden gegenseitig das Leben schwer machen, aber leider nicht viel mehr...
Ganz offensichtlich hatte hier der Pate Pate gestanden, es sollte ein grosses Sittengemaelde, eine Schilderung der mafioesen Bandenkriege in einer Stadt im indischen Kohlenrevier werden, welches den Krieg der beiden Clans ueber drei Generationen hinweg verfolgt - aber heraus kam eine gut fotografierte, aufwaendig produzierte Dauermorderei ohne Story oder Rafinesse, mit uninteressanten Charakteren und endlosen Wiederholungen (in der fuer einen indischen Film verblueffend explizit - und eigentlich nervig oft - ueber Sex geredet wird. Sex und Gewalt, das klassische Erfolgsrezept des Kinos, funktioniert hier leider ueberhaupt nicht, der endlos lange Film ist schlicht und ergreifend - langweilig!

- "Holy Motors", Regie: Leos Carax (Fankreich)
Oh meine Guete - wie soll man diesen Film besprechen?
Und: Hat er eine Handlung?
Man kann ihn lieben oder hassen, indifferent scheint er nur die Wenigsten gelassen zu haben. Sicher einer der kontroversesten Filme der diesjaehrigen Auswahl - und das nicht wegen irgendwelcher politischer oder sonstiger Aussagen, sondern einfach aufgrund seiner Gestaltung und Erzaehlweise:
Ein Mann erwacht, tastet sich in einem Loch in der Schlafzimmerwand in eine fremde Welt, steht ploetzlich in einem Kino, und schon geht es los...
Wir verfolgen Oscar (gespielt von Carax' Lieblingsschauspieler Denis Lavant) durch einen Tag, voller seltsamer Ereignisse. Von einer raetselhaften blonden Dame in einer schneeweissen Limousine herumkutschiert, hetzt Oscar von einer "Verabredung" zur naechsten, schluepft dabei staendig in andere Rollen, maskiert und verwandelt sich, wird zur Bettlerin, zum Auftragskiller, zum Irren auf dem Friedhof, zum Neontanz-Performer, zum Familienvater, zum sterbenden alten Mann...
Alles dies sind Rollen, die er zu spielen hat, er toetet oder stirbt selbst, zumindest im Spiel, er ist melancholisch, traurig, froehlich oder rasend vor Wahnsinn...
und wird am abend wieder nach Hause gefahren - oder hat er auch hier nur eine Rolle zu spielen?
Ein wundervoll absurder Film, voller Episoden, verbunden durch die visuellen Einfaelle des Regisseurs und die Musik, die in vielen Faellen von der (ebenfalls als Schauspielerin mitwirkenden) Kylie Minogue stammt...
Ist das ein Film? Oder eine visuelle Stiluebung? Eine Kurzgeschichtensammlung? Ein effekthaschender Pomp ohne Inhalt? Oder ein mutiger, unkonventioneller filmischer Essay ueber das Leben und die Rollen, die es uns abverlangt?
Ich entscheide mich fuer letzteres und beschliese, den Film zu moegen (es gibt aber durchaus auch gute Gruende, dies nicht zu tun!), und danke dem ehemaligen Wunderkind des Kinos ("Boy meets Girl", "Die Liebenden von Pont Neuf", "Pola X") dafuer, dass er aufgrund einiger Flops wieder aus der Versenkung aufgetaucht ist und uns einen der eigenartigsten, aber wohl auch originellsten Filme des bisherigen Festivals beschert hat.

ASR