Städtische Museen Freiburg: Nationalsozialismus in Freiburg nach über 70 Jahren - der erste Gesamtversuch

Nationalsozialismus in Freiburg nach über 70 Jahren - der erste Gesamtversuch

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Der Eingang zur Ausstellung
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Quelle: 
RDL/kmm 2016

Ab Samstag, 26.November 2016 ist die Ausstellung Nationalsozialismus in Freiburg für die allgemeine Öffentlichkeit geöffnet bis zum 7.Oktober 2017. (Nach Privatführung für die Freunde des Augustiner Museums, die Exklusiv-Vorabbericht der Badischen Zeitung und am Freitag den Rest der Presse)

In gewisser Weise bezeichnend ist, dass erst 71 Jahre nach der gewaltsamen Niederschlagung der Nazibarbarei durch die alliierten Truppen, das öffentlich verfasste Freiburg solch eine Ausstellung auf die Beine bringen konnte. Immerhin konnte die der Erinnerung des allierten Luftangriffs am 27.November 1944 nach 50 Jahren mit  oft sehr zweifelhaften Resultaten schon 1995 die vermeintlich eigene "Opferrolle"  erinnert werden! Die aktuelle Ausstellung brauchte drei Jahre Vorbereitung und ein eher knappes Budget von voraussichtlich 500.000 €.  In dies konnte leider - trotz 3 sprachiger Ausszeichung der Objekte - der audioguide keine französische oder englische Entsprechung umfassen, weil je Sprache 5.000 € fehlen.  So ist er  nur auf deutsch vorhanden.

Da es die erste Gesamtausstellung der Stadt ist, könnten die verbleibenden Erwartungen die an die Ausstellungsmachenden gerichtet sind, nicht höher ausfallen. Umso tiefer kann manche Enttäuschung ausfallen.

Die Macher*innen der Ausstellung  haben sich für eine auf  Personen und ihr Verhalten in den Jahren 1933 bis 1945 zentrierte Ausstellung entschieden (und dafür einen Stuttgarter Designer engagiert).  Die zugeordneten Objekte und Texte sind  in drei "Kabinette", die (1) den Nährboden für den Aufstieg,mit Hoffnung und Krise  (2) die Heilsversprechen und Hoffungen sowie das  Scheitern der als sogenannten Volksgemeinschaft gedachten völkischen ideologie und Praxis, sowie (3) an den gewaltsamen Ausschluss aus dieser völkischen Gemeinschaft zugeordnet sind.
Am Eingang werden die Besucher*innen zunächst nicht nur von einer  Vielzahl von "Fragen" und  Statements - /Wer/Warum/Wie/Was - begrüßt, sondern auch, diesmal mit Einwilligung der jüdischen Gemeinden, eine bis zum Umbau der Alten Synagoge  1926 dort angebrachte Turmspitze, die bei den Umgrabungen im Sommer 2016 auf dem Platz der Alten Synagoge ausgegraben wurde.
Insbesondere in den personenzentrierten - bewusst hell und  licht gehaltenen - Zentralräumen (mit Chor) sind die Wände mit Zeitachsen versehen: U.a. zu historischen Daten zu 1918-1945, zu Gesetzgebung des Ausschluss von den Nazis zur Vernichtung anheim gegebenen Menschengruppen. Die drei "Kabinette" sind demgegenüber in dunklen Farben gehalten.

In gewisser Weise sehr enttäuschend ist, wie wenig von schon erforschten Dokumenten zu Arbeiterbewegung und linken Widerstand Gebrauch gemacht wurde. Immerhin war Freiburg bei den letzten angeblich freien Wahlen (mit inhaftierten Kommunisten und Sozialdemokraten) - nach der Machtübergabe an Hitler - am 5.3.1933 mit 30 % Zentrum 14 % SPD und KPD 8% die Weimarer "Mehrheit"  entgegen  einer der  Überschriften im Kabinett nach dem 1 Weltkrieg "Politische Zersplitterung" tendenziell noch in Kraft.
Enttäuschend auch, dass sowohl von den Zeugnissen der Zwangsemigrierten (es gab unter OB Böhme eine Einladung an viele Opfergruppen mit zahlreichen Tondokumenten) , den Recherchen  der Lessing-Realschule, die weit  über die im Begleitbuch (!) abgebildeten zu der Zwangsschule für jüdische Kinder hinausgingen, nahezu kein Gebrauch gemacht wurde. (Dies gilt auch für Zwangsarbeit in Freiburg oder die beispielhafte Begegnungsarbeit Arbeit des Maximilan-Kolbe-Werk)
Direkt für eine sich auch der Aufklärung namentlich auch jüngerer Generationen verpflichteten Ausstellungskonzept tendenziell kontraproduktiv-  ja irreführend -  ist jedoch in diesem "Kabinett" zum Nährboden der nationalsozialistischen vermeintlichen "Machtergreifung" zu bezeichnen. In dieser  Ausstellungskammer wird das Teil-Ausstellungs Diktum "Trauma des verlorenen Krieges"  als einleitende Ursache vorangestellt. Eine zweifelhafte Referenz an das völkisch-nationalistische Lügenthese vom "unbesiegten Heer" und den "Novemberverbrechern". (nur noch skandalös die Darstellung der nazistischen "Trauma Heilung" durch den eremitierten Historiker Krumbiegel im Begleitbuch zu dem Kriegs-Frontsoldaten Tag 1937).
Inwieweit die Freiburger Gesellschaft des Zwischenkrieges tatsächlich die völkisch-nationalistischen Narrative vom "Versailler Schand"frieden , der völkischen Rassenideologie, die "deutsche" Frauen vor  Juden, Negern und anderen Rassefremden warnten, oder den "Ruhrkampf 1923" mit seinen oberbadischen Auswirkungen aber vor der Stabilisierung nach 1923 wirklich teilten oder in wie weit selbst im katholischen Zentrums Freiburg der Jazz, die moderne Architektur der Gartenstadt oder die steigende Teilhabe von Frauen (inkl. Wahlrecht ab 1918) auch als Fortschritt begriffen wurde, bleibt eher offen. Deren Revision und Erodierung auch durch Massenorganisationsformierung bleibt übereinstimmendes Ziel des völkisch-nationalistischen Lagers.

Das im städtischen Lager aufgefundene Schlippe-Modell zum Umbau des RotteckRinges - insoweit eine wirklich "neue", weil im Archiv zugeschüttete Erkenntnis - kommt schon 1937 (!! also vor dem SS und SA organiserten Mordpogromen vom 9./10. November 1938) mit der Auslöschung der Alten Synagoge aus. Die Ausstellungsmachenden gestehen jedoch ein, die reale nationalsozialistische Umgestaltung gerade z.B. der Stadtverwaltung noch als weisseren Fleck verbuchen zu müssen. Die teils sich von den öffentlichen Inszenierungen der Nazis entfernenden Farbfotos zum Kreisparteitag der NSDAP 1939 sind auch wegen ihrer Dokumentation eines eher beschränkten Publikums Zulauf interessant.

Die zentralen Personenachsen, die den Blickwinkel auf und aus  der Sicht der  Täter, Mitläufer und Opfer richten soll, ist trotz einzelner Ausnahmen zu sehr auf die Reihe der schon bekannten Namen gerichtet. Teilweise verliert sie sich gar zu sehr in die Frage in die Frage der "Scheidung" von Tätern und Mitläufern. Die Namen tonangebender Freiburger Familien - z.B. Brenzinger oder IHK Präsident Tscheulin aus Teningen- fehlen gänzlich. 
Bei den zu Opfern gemachten Menschen wurde auch verpasst, trotz vorliegender umfassender Dokumente, eine der weit über 6.500 zu Zwangsabeit Deportierten ein eigenes Gesicht zu geben  - 2 Ausweise und ein Bild - im Kapitel Kriegswirtschaft eines der  Kabinette reichen nicht,

Das die Ausstellung begleitende Buch ist jedenfalls wesentlich differenzierter in seinen Facetten und dringend allen Besucher*innen zu empfehlen (Preis: 24,80€).

Das Buch  Verfolgung ,Widerstand und Neubeginn 1933-1945 in Freiburg der VVN ist ergänzend beizuziehen.
Texte und Audio im RDL Buch  "Wenn wir weg sind, ist alles nur Geschichte" sind gleichfalls nützlich.

s.a. Podcast unter Nationalsozialismus auf dieser Webseite

(KMM)

Platz für deutschnationale Propaganda von kollektivem Versaillestrauma in der Freiburger NS-Ausstellung?

Interview zur Ausstellung: 18:52