Zweifel an Rechtmäßigkeit von Atommüllendlagerprojekt CIGEO: Französisches Verfassungsgericht verhandelt Beschwerde gegen Atomklo in Bure

Französisches Verfassungsgericht verhandelt Beschwerde gegen Atomklo in Bure

Proteste während der Öffentlichkeitsbeteiligung 2021 am Rathaus von Bure

Proteste während der Öffentlichkeitsbeteiligung 2021 am Rathaus von Bure
Unter anderem in Bure wurde das Rathaus zur DUP von Atommüll-EndlagergegnerInnen blockiert
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(c) indymedia

(Bure) Aufgrund der Einwände von rund 40 Verbänden und AnwohnerInnen gegen die im Lothringer Dorf Bure geplante Endlagerung atomarer Abfälle, findet am 17. Oktober vor dem französischen Conseil Constitutionnel im Palais Royal von Paris eine richtungsweisende Anhörung statt. Der im Kontext der Auseinandersetzung um die geologische Tiefenendlagerung im Département Meuse entstandene Zusammenhang „Front juridique“ erhob Beschwerde, nachdem öffentliche Anhörungen in 2021 das angebliche „Öffentliche Interesse“ (DUP) des Atomlagers CIGEO festgestellt hatten. Die Endlageragentur ANDRA brachte zu Jahresbeginn einen Vorbauantrag (DAC) auf den Weg, der sich auf das vermeintliche öffentliche Interesse stützt. Für die JuristInnen der Umweltbewegung wurden die Vorgaben für diese Verwaltungsschritte jedoch „nur in Teilen eingehalten“. Für eine Verwirklichung des gigantischen Bauprojektes seien die „zugrundeliegenden Impakt-Studien vollkommen unzureichend“.

Der Atomstaat Frankreich plant ab Mitte des kommenden Jahrzehnts den Beginn der Endlagerung von über 80.000 m³ radioaktiver Abfälle in 500 Meter Tiefe entlang des südlichen Maastals. Seit den 1990er Jahren wehren sich ProjektgegnerInnen gegen die Pläne, die als „Forschungslabor“ getarnt und mit annähernd 1 Milliarde Euro an Begleitzahlungen von Paris erzwungen wurden. Nebst einem 400 Kilometer Tunnelsystem, einer 36 Kilometer Zugrasse, einem 10 Hektar großen Umspannwerk und dem gigantischen Verladesystem für den Müll, geht es auch um die langfristige Absicherung und Militarisierung des Lothringer Landkreises, dessen abnehmende Bevölkerungsdichte als zentrales Argument gilt. In der Wissenschaft gibt es Streit um die Sicherheit der Endlagerung unter 500 Meter tiefen Gesteinsschichten, die grundsätzliche Eignung des Tons und die technische Durchführbarkeit der Baustelle. Diese soll auf einem trockenen Hochplateau über ein Jahrhundert lang Millionen Tonnen an Stahl und Milliarden Kubikmeter an Zement und Wasser, sowie eine spekulative zweistellige Milliardensumme an Euro verschlingen. Umgesetzt wurde ein so riskantes Bauprojekt dieser Größe noch nie.

AtomkraftgegnerInnen und Umweltverbände meinen, dass die für „100 Jahre garantierte Rückholbarkeit“ einen unzureichenden Schutz ergibt, sollte das Endlager aus irgendeinem Grund havarieren. Im Grunde genommen, müssten sämtliche Planungsschritte, technisch und ökonomisch zu Ende gedacht sein und auch eine Risikobewertung über den gesamten Betriebszeitraum vorliegen, um ein solches Projekt von „angeblicher öffentlicher Nützlichkeit“ zu realisieren. Diese Angaben kämen laut der Endlageragentur ANDRA erst zum tatsächlichen Bauantrag auf den Tisch. Dabei benutzt sie die „vorübergehende Reversibilität der Abfälle“, die in der Atomgesetzesnovelle von 2016 festgeschrieben ist, zu ihrem Vorteil. Es könnten „keine vollständigen Angaben“ gemacht werden, da die Rückholbarkeit eine „Dynamische Entwicklung des Endlagers“ vorsieht, bei der „technische Neuerungen“ mit einbezogen werden sollen.

Die Umsetzung eines Atommüllendlagers ist eine entscheidende Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der Geschichte des atomaren Fortschritts. Angesichts der geplanten bis zu 14 neuen Reaktoren in Frankreich soll die Atomkraft jenseits des Rheins eine blühende Zukunft haben. Dass die neu anfallenden radioaktiven Abfälle ebenfalls keine Rolle in der Projektplanung fürCIGEO spielen, macht die engagierten JuristInnen stutzig. Bei einer Informationsveranstaltung im Nachbarort Mandres-en-Barrois am 7. Oktober stellte der „Front juridique“ die verschiedenen Zweifel vor. Man wolle über die Verfassungsrechtsprüfung in Anwendung des „Umweltkodex“ dem Projekt grundlegend „auf den Zahn fühlen“. Als Nächstes stünden dann weitere verwaltungsrechtliche Klagen an, da „die Atomindustrie historisch das Gesetz beugt“. Der auch in der Frage der Rückholung der Giftmülldeponie StocaMine engagierte Anwalt François Zind sagte den etwa 30 Anwesenden, CIGEO „könnte über die Klage stolpern, da das Prinzip der intergenerationellen Solidarität auch hier Anwendung finden muss“. Es sei „unmöglich, solche Deponien dem Glück zu überlassen und zu hoffen, es würde schon keine Probleme geben.“

Das französische Verfassungsgericht wird seine Entscheidung am 27. Oktober bekannt geben. Sollten die Pläne für das Atommüllendlager als nicht rechtens bewertet werden, würde das Großbauprojekt weiter ins Stocken kommen. Zentral für die juristische Bewertung ist die bereits in Deutschland festgestellte Notwendigkeit von „intergenerationeller Solidarität“, die etwa ein „Recht auf eine unversehrte Umwelt“ voraussetzt. Bisher ist ein solches Solidaritäts-Prinzip in Frankreich in Bezug auf die Unterstützung oder Hilfe für Geflüchtete juristisch angewendet worden. Auf die Anwendung im Umweltrecht wurde der in der französischen Verfassung unter „Brüderlichkeit“ laufende Solidaritätsgedanke noch nicht geprüft. Ein für über 100.000 Jahre strahlendes und versiegeltes Tunnelsystem voller hoch radioaktiver Abfälle ist jedenfalls eine ideale Gelegenheit, die Solidaritäts- und Nachhaltigkeits-Frage des atomaren Wahnsinns auch in Frankreich mit der Verfassung abzugleichen.

LS