Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte will nicht über antidemokratische Verfassungsreferenden urteilen

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte will nicht über antidemokratische Verfassungsreferenden urteilen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich am gestrigen Donnerstag geweigert, sich mit einer Klage gegen das türkische Verfassungsreferendum von April 2017 zu befassen. Diese Entscheidung ist endgültig. In diesem Fall hatte die grösste türkische Oppositionspartei, die kemalistisch-sozialdemokratische Partei CHP, gegen das Referendum geklagt.

Das knappe Ja zum Verfassungsreferendum gab dem türkischen Präsidenten deutlich mehr Macht, unter anderem um Verfassungsrichter und Ministerinnen zu ernnenen oder zu entlassen, und um das Parlament aufzulösen. Die CHP sah in diesen erweiterten Machtbefugnissen einen inhaltlichen Verstoss gegen die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz, die ein wirklich demokratisches Regime ausmachen.

Formal kritisierte die CHP, dass die türkische Wahlkommission die Ergebnisse des Referendums für gültig hielt, obwohl es Hinweise auf Unregelmässigkeiten und möglichen Wahlbetrug während der Abstimmung gab. Das Referendum hatte mit dem knappen Ergebnis von 51 Prozent Ja-Stimmen geendet. Die CHP sah also in den Unregelmässigkeiten bei der Abstimmung einen weiteren Verstoss gegen das Recht auf freie Wahlen.

Ausserdem beklagte die CHP, dass sie die Entscheidung der Wahlkommission nicht anfechten konnte. Schliesslich hielt sie die Bedingungen während des Wahlkampfs für antidemokratisch und ungünstig und sah darin einen Verstoss gegen die Versammlungsfreiheit.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht es in seiner gestrigen Pressemitteilung durchaus als einen Fakt ein, dass das Referendum die Macht des türkischen Präsidenten über Regierung, Parlament und Justiz ausgeweitet hat. Doch die Richterinnen weigerten sich mehrheitlich, sich mit der Klage weiter zu befassen. Sie begründeten es damit, dass sich das Recht auf freie Wahlen, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten ist, explizit auf regelmässig stattfindende Wahlen und Parlamentswahlen bezieht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könne diesen Paragraphen nicht auf einmalig stattfindende Referenden ausweiten und dürfe deswegen nicht über diese Klage entscheiden.

(mc)