RDL Prozess des Staatsschutz und die Kultur wie Wissenschaftsfreiheit: Ein Archiv ist ein Archiv – müssen Archivare hinter Gitter?

Kommentare & Glossen bei Radio Dreyeckland (alle zeigen)

Ein Archiv ist ein Archiv – müssen Archivare hinter Gitter?

Screenshot 2024-05-04 at 14-52-27 Die Deutsche Wochenschau zwischen 1940 und 1945 - Digitaler Lesesaal.png

Sceenshat zum Digitalen Lesesaal mit NS Propaganda-Wochenschauen
OnLINE-Archive oder der digitale Lesesaal des Bundesarchiv im Screenshot
Lizenz: 
Keine (all rights reserved)
Quelle: 
RDL Screenshot vom Bundesarchiv


Ein Archiv ist ein Archiv – müssen Archivare hinter Gitter?

Archive haben in der menschlichen Geschichte eine nicht unbedeutende Funktion als Gedächtnis

Egal ob seine Dokumente auf Stein gemeisselt oder Papyrus oder Pergament oder Höhlenwände gemalt, Papier geschrieben, in Büchern gedruckt oder neuerdings also auch online in digitaler Form. Sie existieren neben den von Generationen mündlich weitergegebenen Erzählungen (oral history).
Die Transparenz in der Zugänglichkeit hängen ab von ihrer Sammlung und Aufbewahrung, ob privat oder öffentlich. Heute bestimmen zunehmend Algorithmen der TEC-Konzerne wer Zugang bekommen kann.
Selbst wenn sie wie Eisbohrkerne über die Klimageschichte Auskunft geben, liegen sie allerdings mittlerweile bereits auch in digitalen Abbild-Formen wie Datenbanken vor.

Meist sind die gesammelten Dokumente von den Interessen und denen dominiert, die der Nachwelt ihre Version von ihren Glanztaten ihrer Herrschaft diktiert haben wollten und die zudem über die Möglichkeiten verfügten  sie auch buchstäblich in Stein meisseln zu lassen.

Archive z.B als Bibliotheken sind nicht erst seit der europäischen Antike bekannt.

Bekannt ist, das Naturereignisse wie Erdbeben Vulkanausbrüche usw. Teile dieses Menschheitsgedächtnis genauso vernichtet haben und nur durch forensische Archälogie auswertbar gemacht werden können. Vor allem auch Brände oder Kriege mit Beschuss wie durch preussische Truppen 1871 in Straßburg oder heute durch die Soldatateska des Putinregimes in der Ukraine haben sie unwiederbringbar zerstört.
Die Nazis wollten mit ihren aus der Geschichte überlieferten Bücherverbrennungen und Bibliotheksausmisstungen der nicht hinreichend völkischen Literatur das ihrige leisten.Von den Verschüttungen, niederbrennen der Aufzeichnungen ihrer eigener Menschheitsverbrechen und Untaten ganz zu schweigen.

Wenn im Verfahren gegen RDL Redakteur Fabian K. Jetzt der link auf das seit 2020 verfügbare statische online-archiv von linksunten.indy zur Anklagen-Debatte steht, sollten wir das im Denkhorizont behalten. Dieser link auf die surffacepage dieses online-Archiv soll nach der Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe und ihres Staatsschutz Polit-Anwaltes Graulich als Unterstützung einer unanfechtbar verbotenen Vereinigung [IMC Linksunten] strafbar sein.

Nach Ansicht des 2. Strafsenates des OLG Stuttgart soll ein online-Archiv, so es den kompletten Inhalt aller Dokumente des openposting Portals indymedia.linksunten von 2009-2017 umfasst, gar ein strafbares Dauerdelikt sein, das selbst im Jahr 2024 nicht beendet ist, sondern erst dann verjährt wenn es „endgültig“ aus dem Internet verschwunden ist. Angepeppt mit dem Ettiket „Denkmal“ des verbotenen IMC linksunten.

Naja die Strafrechts“traditionen“ von vor dem Grundgesetz 1949 ab Deutschen Reich 1871 scheinen erkennbar in bestimmten Teilen der Justiz überwintert zu haben und eine Spukgeschichte in heutigen Argumentfiguren zu hinterlasen.

Das online-Archiv von linksunten Indymedia ist seit dem 16.Januar 2020 im jetzigen Outfit hinter einer surfacepage, die ein Aufsuchen aller Beiträge zwischen 2009 und 2017 ermöglicht. Einzelne Teile oder teilweise Suchläufe können auf die weit über 225.000 Dateien (- komplexe oder sind es mehr?) möglich. Sie sind aber auch über einige Spiegelserver downloadfähig in Gänze oder teilweise worden. In dieser Funktionalität fehlt eigentlich nur noch chaht-gtp um die usability zu erhöhen.
Das online Archiv ist wohl nur ein einziges Mal seither geändert worden: Nur die url änderte sich im April 2020 von linksunten.archiv.indymedia.org in linksunten.indymedia.org unter der von 2009 bis 2017 verfügbare dynamische  linksunten. indymedia.org- openposting Portal erreichbar gewesen ist. [Ob mit der Klarstellung des BVerwG, das nur der historische IMC linksunten,indy nicht aber das webportal selbst auch die unter Nr. 3 genannte domainadresse des in der US gehosteten indymedia.org überhaupt noch unter das Verbot fallen kann, ist im Prozess bisher völlig unverhandelt geblieben.]
Allerdings mit gänzlich anderer Zwecksetzung als die dynamisches, interaktive openposting Plattform mit anonymisierten Zugangsmöglichkeiten ist das jetzige eben ein Archiv mit den genanten historischen Beiträgen bis 2017 - statisch und unergänzbar.
Wer dies heutige, das statische Archiv und die surface page eröffnete und dahinter das unveränderte Archiv aus anderen Fundorten im Internet – z.b. archive.org ? - anfügte, ist bis heute weitestgehend, wenn nicht komplett unbekannt. Im Gegenteil: auch am 3. Prozesstag (24.4.24) gelang es der Staatsanwaltschaft ausser Mutmassungen keinen Beweis trotz dreier Polizeizeugen des LKA und und der KPI 6 der PD Freiburg vorzulgen. Nix, nada!

Dies hinderte den Spruchkörper der Richtenden des 2. Strafsenates am OLG Stuttgart nicht daran, alle aus der Strafrechtswissenschaft an Klassifizierung von Deliktstypen kommende in Betracht zu ziehen und in das Gefecht zur unbedingten Strafverfolgung zuschicken.
Diese unter dem Gesichtspunkt des Beginn und der Beendigung der Verjährungsfrist vor allem interessante Unterscheidung eines „Dauerdeliktes“ im Unterschied zu einem unmittelbar mit Ausführung relevanten „Erfolgsdelikt“ -wie ein Schlag gegen den Körper [Vorsicht aber: bei der andauernden Kneipenschlägerei, fortgesetzt auf der Strasse wieder auflammend im Hausflur eine Stunde später wieder aufgenommen wird,  beginnt jetzt die hohe Kunst der strafrechtlicher Argumention! Nicht zuletzt derartiger Klassifikationen!] muss nun beim 2. Strafsenat des OLG Stuttgart ins Rennen tuckern, gerade um das Fehlen des Nachweis der Fortsetzung der Betätigung  des IMC linksunten als hochladender Verursacher des  Archivs in der Anklage des Staatsschutzabteilung der Karlruher Staatsanwaltschaft ersetzen.
Das zumindest seit April 2020 unveränderlich online befindliche Archiv von linksunten.indymedia soll so das OLG nun ein Denkmal für eben den seit 29.1.2020 wegen Rechtsverweigerung des BVerwG „unanfechtbar verbotenen“ IMC linksunten darstellen, also den organisierten Personenzusammenhang, der die openposting Plattform in Betrieb day by day nach Moderationskriterien pflegte/betrieben hat . So das Diktum des OLG in seinem Beschluss vom 12.Juni 2023?
Wie bitte?
Wie wollen uns jetzt gar nicht bei den grobschlächtigen aufhalten:

  1. der Senat spricht fortgesetzt vom Portal, obwohl doch das BVerwG nur den IMC linksunten für verboten hält! Ist diese Festsetzung des BVerwG – WAS ist als Verein verboten - unerheblich bei der Beurteilung der Nutzung der vom BIM Verbotsverfügung z.b. unter nr.3 angegeben Url.?

  2. Das Archiv des einst – bis 2017 -betreibenden IMC linksunten enthält wohl angesichts der Vielzahl der sechsstelligen Anzahl an Beiträgen 2009-2017 wohl maximal 0,1 % Beiträge des IMC selbst. Ein Denkmal für den IMC linksunten also dem historischen Betreiberkreis? Eher doch ein Archiv für das rege Bedürfnis sich im Rahmen dieser linken openposting Plattform im Rahmen der Zwecksetzung damals sich auszutauschen, Meinungen äußerten, Recherchergebnisse publizierten, Demonstrationen berichteten usw. usf.. Das der IMC linkunten zweifelsohne genau dies erreichen wollte und was seit 2017 aber nicht mehr möglich ist!

    Vor allem scheint beim Turbogang der Ersetzung der von der Anklage der Staatsanwaltschaft vom April 2024 – weil ja der § 85 StGB ein sog. abstraktes Gefährdungsdelikt sei, braucht es auch keine fortgesetzte unterstützungsfähige Vereinigung - dem Strafsenat entgangen zu sein, daß zwischen 2017 und 2020 und 2020 und 30.Juli 2022 -Artikel Publikation - nie verschwunden war sondern im ersten Zeitraum nur hinter Hürden versteckt im Internet präsent war!
     

  3. Gerade für die Kontinuität des organisierten Tätigkeit des IMC linksunten der spätestens Ende Augst 2017 bereits die Auflösung durch Nichtbespielung der der Adresse links.unten.indymedia.org aufgegeben hat, ermangelt es an selbst belastbaren Indizien. Wenn überhaupt käme nicht eine Fortsetzung sondern allenfalls eine Nachfolgeorganisation bzw. Person für das Hochladen in Frage, die zumindest teilidentisch mit den Vorgängern sein müßte.

Statt juristischer Grob-Raspelei mit Mutmassungen über angeblich taktische Eigenschaften von den Linken und Straftätern überhaupt, hätte der 2. Strafsenat mehr für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit liefern müssen, das der IMC linksunten 2017 nicht eingestellt wurde, statt mit Umkehrschlüssen aus eigenen Lebenserfahrungen zu holzen.

Warum online-Archive, selbst wenn sie strafbare oder nach Ansicht des 2. Strafsenates verfassungswidrige Inhalte  enthalten, überhaupt als strafbare Dauertätigkeit in Frage kämen, bleiben die auch schlüssige Argumente schuldig.

Der 2. Strafsenat des OLG Stuttgart, der schon mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf dem Kriegsfuss steht [nur „wertvolle Beiträge zu Meinungsbildung“ sollen dort geschützt sein], kommt nun problemlos auch mit Art. 5 Absatz 3 GG und der dort geschützten Kultur- und Wissenschaftsfreiheit in den Clinch !
Denn auch diesen Richtenden kann folgendes nun nicht entgangen sein.

Archive – analog wie digital online – sind eben Teil des Menschen[heits] Gedächtnis. Sie sind zweifellos darunter weitgehend geschützt von Art.5 Abs.3 GG. Grundrechts - Abwägungen wie diese zog dieser 2. Strafsenat nicht einmal ansatzweise in Betracht. Der Unrechtsgehalt von Sammlung, wie Archivierung, Dokumentation und online Präsentation dieser Dokumente [Zugänglichmachung] wie die Ermöglichung ihrer Verbreitung [download] durch wen auch immer, müsste zunächst erst einmal erörtert werden. Einige Beispiele:

*Im Digitalen Lesesaal des Bundesarchiv sind die, zweifelsfrei gegen jede Demokratie gerichteten Inhalte der Propaganda Wochen Schauen 1940- 1945 des NS-Regimes downloadbar.
* Selbst die Namensdateien von NSdAP usw. sind nicht nur für Opfer- wie Täter- Nachfahren online durchsuchbar,
* Kommerzielle Verwertungen wie historia.net bieten den „Völkischen Beobachter „ zu Geburtstagen von Oma und Uroma feil.
Diese Liste könnte endlos fortgesetzt werden.

Die auch von Konzernen – Google/META - gerade aus öffentlichen ARCHIVEN/Bibliotheken vorangetriebene Digitalisierung im Gegenzug zum privaten Nutzungrechten des Konzern mit seinen Algorithmen stieß die Digitalisierungsoffensive der EU an. Deren Förderoffensive ermöglichte vielen Museen, Bibliotheken und Archiven ihre Bestände selbst zu digitalisieren. In der Folge wurde der massenhaften Zugang wie Verbreitung selbst zu unstrittig demokratiefeindlichen Inhalten möglich.

Das Internet vergisst nicht – Selbst die Untaten der Diktaturen nicht! So sie dokumentiert, gesammelt und digital aufbereitet sind.
Sich als frei verstehende Gesellschaften garantieren ungehinderten Zugang und nehmen damit auch Verbreitungen in Kauf.
Wann wohl kommt die Staatsschutzjustiz des 2. Strafsenates des OLG Stuttgart oder die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hier auf dem Boden der durch Menschenrechte gebundenen Verfassung an?

Michael Menzel erstellt am 23./24.4.2014