Cafe Cannes - Cannes Blog Tag 1 - Dossier 1

Cafe Cannes - Cannes Blog Tag 1 - Dossier 1

img_4634_startbild.jpg

img_4634_startbild
img_4634_startbild
Lizenz: 
Keine (all rights reserved)

 35mm-Reporter Alexander Sancho-Rauschel live aus Cannes

Das zweite Jahr in Cannes...
Zuhause regnet es seit Tagen... aber wie es sich gehoert, scheint die Sonne ueber der Croisette, damit es keine Wasserflecken auf den schwarzen Anzuegen gibt und die Sternchen, die sich in ihr obligatorisches Nichts gehuellt haben, nicht frieren muessen, wenn am Abend das eigentliche Highlight des tages ruft (nein, natuerlich nicht irgendwelche Filme, wie kommt ihr darauf?!)
- sondern das abendliche Schaulaufen ueber den roten Teppich...!

Tagesgespraech an Tag 1 war natuerlich der umstrittene Eroeffnungsfilm...
Ridley Scotts monumentaler Historienschinken „Robin Hood“ donnerte ueber die Leinwand mit viel Bombast und Getoese, Russell Crowe durfte mal wieder heroisch-leidend in die Kamera gucken und Cate Blanchett die Elfe geben...
Was soll man davon halten?
Schwer zu sagen... Zwar durfte ich nicht rein in die offizielle Premiere mit meiner kleinen Akkreditierung der Kategorie "unwichtige-Radios-des-nichtfranzoesischsprechenden-Auslands" (kurz: URNA - bitte merken, diese hier ueblichen Fachtermini werde ich sicher nochmals brauchen...), aber, viel cooler:
Ich durfte zusammen mit meinem Kollegen Martin in die inoffizielle Vorab-Premiere zwei Stunden vor dem Event des Abends.Natuerlich mit Sperrfrist, so dass ich Euch erst heute darueber berichten kann... (aber ist es nicht cool, nichts schreiben zu duerfen, weil man man so exklusive Ware zu sehen bekommt, dass man schweigen muss...?). Klar, der Sinn der Sperrfrist ist weniger, dass Journalisten wie ich mit URNA-Akkreditierung (siehe oben!) sich auch mal wichtig finden duerfen, sondern dass keine ganz schnellen SchreiberInnen dem Premierenpublikum schon eine Stunde vorher den Schluss des Films verraten...

img_4646_gesamtblick
img_4646_gesamtblick

Obwohl, mal ehrlich: Wer kennt nicht die Story von Robin Hood? Und genau das ist ja das Problem - wozu sich die hundertste Verfilmung des Stoffes ansehen, nachdem man schon als Kind fuenfmal die grossartige Disney-Zeichentrick-Version von 1973 gesehen hat? Und natuerlich mehrmals an verregneten Sonntagnachmittagen die tolle Fassung mit Errol Flynn und Olivia de Havilland des Casablanca-Regisseurs Michael Curtiz von 1938?Und spaeter die naiv-froehliche Douglas-Fairbanks-Variante aus der Stummfilmzeit? Die esoterisch angehauchte Robin-Hood-Fernsehserie aus den Achtzigern mit der mystischen Filmmusik von Clannad? Den damals angesagten, heute etwas peinlichen Kevin-Costner-Film von 1991 mit dem ewigen Wolftaenzer in der titelgebenden Hauptrolle (aber immerhin auch mit dem laessigen Alan Rickman in der Rolle des bitterboesen Sheriffs von Nottingham…!). Und war da nicht auch noch dieser akribisch-korrekte, authentische Historienfilm mit dem schoenen Titel „Robin Hood – Helden in Strumpfhosen“ von Mel Brooks (mit einem majestaetisch guckenden Patrick Stewart als Koenig Richard Loewenherz!)…?
(Okay, genug mit dem Geplauder aus der Filmgeschichte, der neue Stoff ruft!)

 Und genau das ist ja das Problem - wozu sich die hundertste Verfilmung des Stoffes ansehen, nachdem man schon als Kind fuenfmal die grossartige Disney-Zeichentrick-Version von 1973 gesehen hat? Und natuerlich mehrmals an verregneten Sonntagnachmittagen die tolle Fassung mit Errol Flynn und Olivia de Havilland des Casablanca-Regisseurs Michael Curtiz von 1938?Und spaeter die naiv-froehliche Douglas-Fairbanks-Variante aus der Stummfilmzeit? Die esoterisch angehauchte Robin-Hood-Fernsehserie aus den Achtzigern mit der mystischen Filmmusik von Clannad? Den damals angesagten, heute etwas peinlichen Kevin-Costner-Film von 1991 mit dem ewigen Wolftaenzer in der titelgebenden Hauptrolle (aber immerhin auch mit dem laessigen Alan Rickman in der Rolle des bitterboesen Sheriffs von Nottingham…!). Und war da nicht auch noch dieser akribisch-korrekte, authentische Historienfilm mit dem schoenen Titel „Robin Hood – Helden in Strumpfhosen“ von Mel Brooks (mit einem majestaetisch guckenden Patrick Stewart als Koenig Richard Loewenherz!)…?
(Okay, genug mit dem Geplauder aus der Filmgeschichte, der neue Stoff ruft!)

Kurzum, was soll man davon halten, dass so ein Schinken, der natuerlich ein Budget hat, von dem Jarman, Akin und Ozon nur traeumen koennen, die Filmfestspiele von Cannes eroeffnen darf?

Einerseits ist es aergerlich, dass so ein Hollywood-Brocken, der nur einen Tag spaeter sowieso regulaer in den Kinos startet, sich einen feuchten Filmriss drum schert,  wie er hier von Presse und Publikum aufgenommen wird, das Festival nur als weitere Werbeplattform benutzt, weil es ihm noch ein bisschen mehr Aufmerksamkeit und Presseberichte bringt?


Andererseits leben auch Festivals, die tapfer die Fahne der Filmkunst hochhalten, davon, dass Stars und Regisseure und die Fernsehkameras der Welt herkommen und berichten… mit Promi-Futter fuer die gierigen Kameras und Autogrammen von Russel Crowe fuer die Scharen von Neugierigen, die sich um den roten Teppich draengen.
Fazit des ganzen Hypes? Schwer zu sagen, einigen wir uns vorlaeufig auf ein etwas resigniertes „Von-mir-aus“.

img_4682_take
img_4682_take
Wie der Schinken nun war, wollt ihr wissen?
Zumindest erfuellte er (erfreulicherweise) nicht die Erwartungen des Publikums… Denn er erzaehlt nicht die altbekannte Legende um die froehliche Truppe, die regelmaessig aus dem Wald springt, reiche Kaufleute um ihr Gold erleichtert und dieses den armen Bauern des Umlandes in traditioneller sozialdemokratischer Umverteilungsgesinnung zukommen laesst.
Nein, erzaehlt wird vielmehr – aeusserst originelle Vorgehensweise – das Prequel (stoehn!).


Nein, erzaehlt wird vielmehr – aeusserst originelle Vorgehensweise – das Prequel (stoehn!).

 Was ratlose Produzenten bereits bei Star Wars, Star Trek, Exorzist und Hannibal (Lecter, nicht Karthago) fuer eine unkonventionelle, ueberraschende Idee gehalten hatten, muss jetzt auch hier folgen: Wir erfahren, was Robin frueher gemacht hat, als er noch als dreister, grossmaeuliger Soldat im Heer von Richard Loewenherz diente, und wie er sich bei Johann Ohneland unbeliebt gemacht hat.Dabei begegnet uns ein Robin, der kaum etwas mit dem Waldrebellen der Legende gemein hat. Russell Crowes Waldschrat ist eher ein frecher Trickbetrueger, der auf Seiten der Elite des Landes steht, die guten Adligen gegen die boesen Adligen unterstuetzt, sich ums Volk wenig schert, sich eine Adelsherrschaft in Loxley sichert (mitsamt der blaubluetigen Witwe Marian), und im dramatischen Finale sogar an der Seite des fiesen

img_4633_ausschnitt
img_4633_ausschnitt
Usurpators Johann gegen die franzoesischen Invasoren zu Felde zieht – denn wenn die vaterlaendische Pflicht ruft, muss man notfalls auch dem boesen Blutsauger Gefolgschaft leisten, da geht dann doch Patriotismus vor Rebellion! 

Trotz aller nervigen Patriotismus-Schwadroniererei aber ist dieser „Robin Hood“ doch eher so eine Art FDP-Film: Der boese Koenig will die Steuern erhoehen, die guten Adligen (quasi die tapfere Partei der Besserverdienenden) aber sind dagegen und erheben sich empoert. Der Koenig (Johann Merkel) aber verlangt mehr Steuern, denn es sei eine Zeit der Krise (dto.!), wohingegen Guido Hood der Steuerrebell vom autoritaer-konservativ herrschenden Koenig das Wichtigste fordert: „Liberty!“.
Man einigt sich, und so geht es gemeinsam zum Zug gegen das Reich der Boesen (Afghanistan? Taliban? Nein, schlimmer: Franzosen!). Und das immerhin hat Charme:


Der Eroeffnungsfilm in Cannes, DEM internationalen, wichtiger noch: DEM franzoesischen Film-Festival schlechthin, ist alles andere als francophil.
Im Gegenteil: Der fiese franzoesische Koenig versucht mittels einer verfuehrerischen Blondine, einem boesen Verraeter (toll: Mark Strong als Fiesling Godfrey) und geballter Waffengewalt, England an sich zu reissen, aber scheitert klaeglich, da die mit den Loewenherzen in patriotischer Eintracht zusammenhalten. „Tod den Franzoden!“, darf unser Held einmal lauthals auf der Leinwand bruellen, und am Ende sehen wir, wir vor der Kueste von Britannia eine franzoesische Lilienfahne klaeglich auf dem Meeresgrund versinkt, da die Angreifer mit ihren Booten es nicht schafften, den heiligen britischen Boden zu betreten.
Immerhin, das hat eine Ironie, die auch den Festivalmachern nicht entgangen sein duerfte… Dass die „Grande Nation“ es zulaesst, dass so ein antifranzoesisches Pamphlet den Startschuss an der Cote d’Azur geben darf, hat seinen Reiz.

Und sonst noch zu dem Film? Gut gemacht, gut gespielt, ein wenig zuviel esoterisches Brimborium mit vielen (huebschen) lichtdurchfluteten Waeldern und zahlreichen pittoresken keltischen Hochkreuzen, deren maeandernde Flechtwerk-Ornamente sich fortwaehrend dekorativ ins Bild schlaengeln, Cate Blanchett in langen Roben mit wallendem Haar wie auf einem Mittelalter-Gothic-Festival, einige spektakulaere Kamerafahrten ueber die Landschaften und Waelder, huebsch-schmutzige Burgen, ein stimmungsvoller Tower of London und das mittlerweile zwingende psychologische Ausstattungs-Arsenal der Hauptfigur: Kindheitstrauma, schwierige Vater-Sohn-Beziehung, mangelnde Vergangenheitsbewaeltigung etc.

img_4637_ausschnitt
img_4637_ausschnitt
Nervig ist vor allem die Audio-Ueberproduktion: Jedes Ding, jeder Schritt, jede Bewegung verursachen Geraeusche wie aus dem Bilderbuch, alles ist so ueberdeutlich vertont, dass man sogar die Augen zumachen koennte und dem Film trotzdem folgen koennte. Jeder Schritt ist hoerbar, jede Tuere quietscht laut beim Oeffnen, das Wiehern eines Pferdes hoeren wir sogar dann noch laut und schallend, ween der Gaul ganz klein im hintersten Bildbereich auftaucht. Und ein Schwert gibt sogar dann ein laut klirrendes metallisches „Tschinggg!“ von sich, wenn es aus einer Lederscheide oder aus einem frischen Opfer gezogen wird (und nicht, obwohl es genau so klingt, kraeftig gegen einen Amboss geschlagen wird). Das ist Akkustik fuer Deppen, Sound fuer Dummies sozusagen, eine Audioausstattung wie mit dem Holzhammer, die keinen raum laesst fuer leise Toene. Kein Wunder also, dass auch die Filmmusik in die Vollen haut und rummst und scheppert und mit Bombast nicht spart! 

Verzeiht, ich war mal wieder weitschweifig...

Bin schon gespannt, was meine 35mm-KollegInnen zu dem Film sagen, Martin hat sicher auch schon seinen Kommentar geschrieben. Ihr habt also Vergleichsstimmen, liebe Leserschaft. Ich bin genauso gespannt wie Ihr!
A bientot aus Cannes!

Alle Fotos: ASR
1. Das Festival-Logo 2010
2. Blick ueber die Croisette-Promenade
3. Robin Hood wird auch auf den Litfass-Saeulen In Cannes beworben
4. Das offizielle Cannes-T-Shirt 2010
5. Alles wird mit den Festspielen beworben, bis hin zu italienischen Spezialitaeten