Dokumentation aus seinem Ex-Twitter account: Denis Trubetskoy aus Kyjiw zu Waffenstillstand und Ukraine "Friedens"plan

Denis Trubetskoy aus Kyjiw zu Waffenstillstand und Ukraine "Friedens"plan

Da viele wieder Scheingespräche über illusorische Friedensverhandlungen führen. Ein Versuch, von Kyjiw aus einen realistischen Blick darauf zu werfen.
1. Verhandlungen ohne Vorbedingungen sind in diesem Krieg irgendwann nahezu unausweichlich. Allerdings wird es bei diesen nur über einen Waffenstillstand und vielleicht noch um einen großen Gefangenenaustausch (Alle gegen alle) gehen. Mehr nicht.
2. Denn: Mit Wahrscheinlichkeit von 99,99 Prozent wird es keine Lösung zum Status der besetzten Gebiete geben. Die Verfassungen der Ukraine und Russlands beanspruchen die gleichen sechs Regionen für sich. Die ukrainische zu Recht, die russische nicht. Die Ukraine wird aber keine der besetzten Territoriern je als russisch anerkennen. Russland wird selbst in der Zeit nach Putin diese Gebiete kaum aus der Verfassung rausschreiben können, ob es diese dann kontrolliert oder nicht.
3. Dass Russland aktuell Null Interesse an Verhandlungen ohne Vorbedingungen hat, wird aus jedem öffentlichen Statement aus Moskau deutlich. Aus dem neuen Putin-Interview ebenfalls. Auch die Ukraine ist zugegeben dafür heute nicht bereit. ABER.
4. Sollte Kyjiw jetzt, in dem Moment, der vom Kreml als Moment der Stärke wahrgenommen wird, Verhandlungen einseitig anbieten, wäre das sowieso eine ultimative Suizididee - wie schon mehrfach gesagt. Wladimir Putin glaubt ohnehin, sich mit der Brechstange durchsetzen zu können. Würde er dieses Zeichen der ukrainischen Schwäche auf einem Silbertablett erhalten, würde er gleich alles mobilisieren, um so viel auf dem Schlachtfeld zu erreichen wie es nur geht. Wer es nicht versteht, lebt auf einem anderen Planeten.
5. Russlands Bereitschaft zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen kann daher nur mit Waffen, Munition und durch starken ukrainischen Widerstand erreicht werden. Anders geht es leider nicht. Dabei muss es die Ukraine natürlich versuchen, so viele in Besatzung lebende Menschen zu befreien wie es nur geht. Denn übermorgen, wenn nicht schon morgen oder gar heute, werden diese Menschen in die russische Armee eingezogen und auf Ukrainer schießen. Das ist viel wichtiger als bloße Territorien. Jedenfalls wird es womöglich Jahre dauern, bis Moskau jegliche wirkliche Bereitschaft zeigt. Das ist die bittere Realität. Deswegen muss man Russland gemeinsam und entschieden die Grenzen aufzeigen: Hier geht es nicht weiter - und es wird auch nicht weitergehen. 6. Die ukrainische Friedensformel muss richtig verstanden werden statt diese pauschal als unrealistisch abzustempeln und sie auszulachen. Zum einen basiert sie doch auf dem Völkerrecht - und es ist bei weitem nicht nur die Ukraine daran interessiert, dass dieses schwächlende Instrument nicht komplett ausstirbt. Zum anderen aber, und das hängt damit zusammen: Die Leute in der hiesigen Regierung sind sowieso wirklich nicht so dumm, um daran zu glauben, dass Russland diesen faktischen Kapitulationsbedingungen jemals zustimmt. Zumal fast die Hälfte der Punkte der Friedensformel eher mit der Architektur der globalen Sicherheit für die Zukunft zu tun haben als mit dem konkreten Krieg.
7. Deswegen gilt: Die Friedensformel ist eher keine Verhandlungsposition für Gespräche mit Russland, sondern das strategische Ziel, welches unter Umständen auch über die aktuellen Kampfhandlungen hinaus erreicht werden kann - in wie vielen Jahren auch immer. Doch es ist, wie gesagt, bei weitem nicht für die Ukraine enorm wichtig, dass es dieses strategische und absolut gerechte Ziel in derart klarer Form gibt. Die Wichtigkeit der Einhaltung des Völkerrechts geht deutlich über Kyjiw hinaus. Es ist auch absolut richtig, dass die Ukraine mit der Friedensformel hier die internationale Erzählung dominiert - und nicht irgendeine Scheininitative von draußen.
8. Der Entschluss des ukrainischen Sicherheitsrates vom Ende September 2022, der die Unmöglichkeit der Verhandlungen mit Wladimir Putin als Reaktion auf die Aufnahme von vier weiteren ukrainischen Gebieten in die russische Verfassung konstatiert (so ist es richtig und nicht "die Ukraine hat Verhandlungen mit Russland verboten"), ist in der Praxis recht egal. Es werden ohnehin nicht Selenskyj und Putin sein, die den Waffenstillstand irgendwann unterschreiben könnten. Es werden vielmehr politische Berater oder Generäle sein. Und es kann sogar so sein, dass letztlich nichts unterschrieben wird und eine waffenstillstandsähnliche Situation natürlicherweise entsteht.
9. Diplomatie ist wichtig - und alleine die Vereinbarung eines Waffenstillstandes wird an sich eine komplizierte Aufgabe sein. Wer wird diesen denn kontrollieren ist nur eine offensichtliche schwierige Frage von vielen. Ich bleibe aber dabei, dass das ganze Verhandlungsthema im Kern deutlich überschätzt wird. Denn: Die Ukraine wird nichts als russisch anerkennen, Russland wird nichts freiwillig abgeben. Der Raum für eine grundsätzliche Einigung ist einfach nicht da und wird wohl auch in ein paar Jahren nicht da sein.


4:24 nachm. · 13. März 2024