Cannes-Kritiken, die Dritte

Wo war nochmal der Sherwood Forest?
Ridley Scott und Russell Crowe verwursten Robin Hood 

Von Martin Koch 

Robin Hood hat vergessen, wer er ist. Einfach so, bedingt durch ein Kindheitstrauma. Als Robin Longstride schlägt er sich im Heer von Richard Löwenherz durch Frankreich, bis ihn aus heiterem Himmel der Auftrag ereilt, die Krone seines im Kampf gefallenen Königs in die englische Heimat zurückzubringen. Gegen ihn stellt sich ein verworrener Komplex aus dem meist indisponierten Sheriff von Nottingham, dem hinterhältigen Prinzen John, dem fiesen glatzköpfigen Verräter Godfrey. So findet Robin zurück zu seinen Wurzeln, tritt in die Fußstapfen seines für sein Eintreten für die Magna Carta getöteten Vaters und bekämpft an der Seite der guten Engländer die bösen Franzosen. Aus dem Outlaw Robin wird der nationale Freiheitskämpfer Robin Loxley (denn letzterer wird zum Decknamen des vermeintlich aus niederer Abstammung kommenden Recken).

Cannes-Kritiken, die Dritte

Wo war nochmal der Sherwood Forest?
Ridley Scott und Russell Crowe verwursten Robin Hood 

Von Martin Koch 

Robin Hood hat vergessen, wer er ist. Einfach so, bedingt durch ein Kindheitstrauma. Als Robin Longstride schlägt er sich im Heer von Richard Löwenherz durch Frankreich, bis ihn aus heiterem Himmel der Auftrag ereilt, die Krone seines im Kampf gefallenen Königs in die englische Heimat zurückzubringen. Gegen ihn stellt sich ein verworrener Komplex aus dem meist indisponierten Sheriff von Nottingham, dem hinterhältigen Prinzen John, dem fiesen glatzköpfigen Verräter Godfrey. So findet Robin zurück zu seinen Wurzeln, tritt in die Fußstapfen seines für sein Eintreten für die Magna Carta getöteten Vaters und bekämpft an der Seite der guten Engländer die bösen Franzosen. Aus dem Outlaw Robin wird der nationale Freiheitskämpfer Robin Loxley (denn letzterer wird zum Decknamen des vermeintlich aus niederer Abstammung kommenden Recken).

Eine gewisse Vergesslichkeit fordert Regisseur Ridley Scott also auch von seinen Zuschauern. Wobei das Vergessen der traditionellen Story des die Reichen bestehlenden und den armen gebenden  Kult-Outlaws Robin Hood mit Abstand am geringsten ins Gewicht fällt. Gerne wäre man nach zig platten Romantisierungsfilmen bereit, Scotts Bild eines grobschlächtigen, kühl materialistisch planenden Kämpfers als mutige und dreckige Alternative zum Hollywood-Schmalz der vergangenen Jahre akzeptiert. Problematisch wird es allerdings, wenn der von Russell Crowe gespielte Robin die Belange der unterdrückten Bevölkerung nur noch als durch eine Magna Carta umsetzbaren Pakt zwischen König und Landadel ansieht. Vom lokalen Widerstandskämpfer wird die mythische Figur von Scotts neuem Film zum verhinderten Nationalhelden umgemodelt.

 

Auf dem Weg zu dieser Neuinterpretation hat Scott an vieles gedacht: die Aufnahmen und Schauplätze sind, wie bei Scott gewohnt perfekt und werden durch mitreißende Kamerafahrten unterstrichen und mit Russell Crowe und Cate Blanchett hat er ebenso erstklassige Darstellung für das Paar Robin Hood und Lady Marian, wie er mit Mark Strong einen herrlich fiesen neuen Gegenspieler installiert. Allerdings hat der begnadete Techniker und mittelmäßige Erzähler Scott vergessen, auf ein überzeugendes Handlungsgerüst zurückzugreifen. Dieses Defizit merkt man dem Film klar an und so pendelt Scotts „Robin Hood“ ständig zwischen rasanten Kampfszenen und inflationär auftretenden neuen Handlungsentwicklungen. Doch  trotz Robins Entwicklung vom geächteten Soldaten über den falschen Adligen zum echten Adligen, beginnt die Handlung spätestens nach einer Stunde an, gewaltig unter den Ambitionen der Macher Ridley Scott und Brian Helgeland zu ächzen. Es ist einfach von allem ein bisschen zuviel und gerade dadurch von Nichts Genug.

 

Nicht nur eine neue Version des altbekannten Robin Hood-Stoffes wollte Ridley Scott schaffen, sondern zugleich die in bisherigen Verfilmungen auftretenden Dissonanzen mit der englischen Geschichte überwinden und dann auch noch die etwas naive Romantik der bisherigen Robin-Hood-Filme mit einen so noch nicht dagewesenen Realismus vergessen machen. Das hört sich etwas nach der vielzitierten Quadratur des Kreises an und tatsächlich ist beim Ergebnis eher das Bemühen als das Gelingen anzuerkennen. Scotts Versuch, den Mythos mit der realen Geschichte zu vereinen scheitert letztlich daran, dass der Robin-Hood-Mythos auf zahlreiche zeitlich nicht auf eine Epoche festlegbaren Erzählungen gründet. So widerlegt Scott zwar die von Kevin Costner beschworene Rückkehr König Richards, wie auch die im selben Film und noch anderen propagierte Glorifizierung dieses Königs. Das allerdings wäre in einem Film über Richard Löwenherz besser aufgehoben, als in einem über Robin Hood.

 

Es bleibt die von Scott und Produzent Brian Grazer betonte Marktlücke, nun endlich die Vorgeschichte für die restlichen ca. 30 Robin Hood-Filme gedreht zu haben. Dem ist zu entgegnen, dass, wie schon vor zehn Jahren bei George Lucas' Star Wars-Marketingschlacht niemand um eine solche – in diesem Fall auch noch an den Haaren herbeigezogene – Vorgeschichte gebeten hat, von einigen Marketing-Fachleuten vielleicht abgesehen. Die Goldene Palme kann der außer Konkurrenz angetretene Film glücklicherweise nicht gewinnen, dafür ist er ein heißer Anwärter für den unnötigsten Film des Jahres.