Berlinale Blog: Der Räuber

Berliner
Schule meets Bourne Identity

Aus Berlin: Martin Koch

Bei der Wahl seiner Filmtitel war
Benjamin Heisenberg bisher wenig kreativ: nach „Schläfer“ kommt
nun „Der Räuber“. Bei den Inhalten sieht das glücklicherweise
anders aus: sein neuester Film verknüpft geschickt Elemente von
Thriller und Drama zu einer nüchternen Schilderung einer einmaligen
Kriminalgeschichte. Die Hauptfigur Johann Rettenberger hatte in den
achziger Jahren eine Serie von Verbrechen verübt und war nebenbei
als Marathonläufer erfolgreich. Auf diesem Gegensatz aufbauend
inszeniert Heisenberg Rettenbergers Geschichte zwischen seiner
Haftentlassung und seinem Tod auf der Flucht:

Berlinale Blog: Der Räuber

Berliner
Schule meets Bourne Identity

Aus Berlin: Martin Koch

Bei der Wahl seiner Filmtitel war
Benjamin Heisenberg bisher wenig kreativ: nach „Schläfer“ kommt
nun „Der Räuber“. Bei den Inhalten sieht das glücklicherweise
anders aus: sein neuester Film verknüpft geschickt Elemente von
Thriller und Drama zu einer nüchternen Schilderung einer einmaligen
Kriminalgeschichte. Die Hauptfigur Johann Rettenberger hatte in den
achziger Jahren eine Serie von Verbrechen verübt und war nebenbei
als Marathonläufer erfolgreich. Auf diesem Gegensatz aufbauend
inszeniert Heisenberg Rettenbergers Geschichte zwischen seiner
Haftentlassung und seinem Tod auf der Flucht:

als einsamen Marathon,
der von der Besessenheit von Laufsport und der Sucht nach höherem
Nervenkitzel dominiert wird. Den verstärkten Adrenalinschub erreicht
er dabei durch Autodiebstähle und Banküberfälle.

Wie ein Athlet, der für Olympia
trainiert putscht sich Heisenbergs Rettenberger auf, um seine
Leistung schließlich auf mehrere Banken an einem Tag zu erhöhen,
interessiert blickt er auf die Frequenzkurve seiner Pulsuhr, die zum
Zeitpunkt der kriminellen Handlung massiv höhere Werte anzeigt.
Andreas Lust ist als Hauptdarsteller ein Glücksgriff, weil er die
Fixiertheit Rettenbergers auf die Tretmühle, in der er steckt
perfekt verkörpert. Mit schnellstmöglicher Geschwindigkeit rast er
durch den Tunnel, der ihn umgibt und dass er außerhalb dieses
Tunnels keine Chance hat, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit.
„Das, was ich mache, hat mit dem, was du Leben nennst, nichts zu
tun“ sagt er einmal zu seiner Freundin Erika, die an ihm hängt,
obwohl er ihr klargemacht hat, dass sie in seinen Lebensentwurf
eigentlich nicht passt.

So in und auswendig hat Lust seine
Figur gekannt, dass er sich mit Regisseur Heisenberg um die
Laufgeschwindigkeit in einzelnen Szenen gestritten hat. Eine
Anekdote, wie man sie sonst nur von den animalischen method actors
wie Daniel Day-Lewis kennt und
dazu sitzt Lust mit versteinertem Gesichtsausdruck auf der
Pressekonferenz und beantwortet die meisten Fragen in einem Satz.
Selbst am Tag der Premiere scheint scheint seine Filmrolle noch von
ihm Besitz ergriffen zu haben, oder vielleicht hat er auch viel von
seinem eigenen Naturell in diesen stillen, gefühlskalten und
tatenfixierten Rettenberger eingebracht. Dieser ist eine Figur, die
zu einem der großen zwiespältigen Bösewichte dieses Filmjahres
werden kann, denn bei aller Verachtung für seine Taten schwingt beim
Zuschauen auch eine seltsame Bewunderung für die Akribie, mit der
dieser Mann aufwändigste Aktionen plant und durchführt mit. Und
wenn er dann einmal mehr wie ein Ausbrecherkönig aus der
aussichtslosest möglichen Situation entkommt, ist man versucht,
diese zumindest als Fakt anzuerkennen.

An Thrillern aus
den siebziger Jahren und auch an der Bourne-Trilogie hat sich
Regisseur Heisenberg bei der Inszenierung der Überfall- und
Fluchtszenen orientiert und beeindruckt dabei gar nicht so sehr mit
Höchstgeschwindigkeit, sondern vor allem mit der Nähe an der Figur
und dem Eindruck, die Szene unmittelbar aus Rettenbergers Sicht
mitzuerleben – eben genau das, was die Actionszenen insbesondere
„Die Bourne-Verschwörung“ ausmacht. Dies kombiniert er mit
stillen Szenen, in denen Rettenberger zuhause sitzt, mit einem
Sozialarbeiter redet, läuft, zufällig seine Freundin trifft und
ähnlichen Situationen, die als stilbildend für das Genre der
Berliner Schule angesehen werden. Im Gegensatz zu mit dieser Bewegung
in Verbindung gebrachten Filmen, erfüllt hier allerdings jede Szene
eine Funktion für die Zeichnung der Charaktere bzw. für die
Fortentwicklung der Handlung. Dies beschert ein spannendes,
originelles und trotz der hochsachlichen Inszenierung nahegehendes
Kinoerlebnis.