Wenn das Militär putscht, sind die LehrerInnen schuld - eine Bilanz

Wenn das Militär putscht, sind die LehrerInnen schuld - eine Bilanz

Nach dem unter anderem wegen völlig mangelnder Unterstützung in der Gesellschaft gescheiterten Putschversuch vom 15. Juni und dem fünf Tage später verhängten Ausnahmezustand, erlebt die Türkei eine Säuberungswelle wie man sie sich nach einem geglückten Putsch vorstellt. Hauptziele sind die Justiz, die Medien und LehrerInnen. Eine vorläufige Bilanz des Ausnahmezustandes am 11. 9. (Quelle: Cumhuriyet, Sendika.org, Egitim Sen): Ungefähr 40 000 Menschen wurden festgenommen (kann bis 30 Tage dauern, kaum Schutz vor Folter), gegen mehr als 20 000 Menschen wurde Untersuchungshaft verhängt. 45 Zeitungen, 23 Radiostationen, 18 Fernsehkanäle, 15 Zeitschriften, 29 Verlage und 3 Nachrichtenagenturen wurden verboten. Ungefähr 100 JournalistInnen wurden festgenommen, 24 kamen in Untersuchungshaft.

2346 Dozentinnen und Dozenten an türkischen Hochschulen wurden entlassen. Darunter insbesondere viele, die am Jahresanfang einen Friedensappell unterschrieben hatten. Die Lizenz von 28 000 LehrerInnen wurde aufgehoben, weil sie an Schulen und ähnlichen Einrichtungen unterrichtet haben, die der Gülen-Sekte nahestehen sollen. 33 000 staatliche LehrerInnen wurden suspendiert. Eine größere Zahl von LehrerInnen wurde entlassen, die meisten von ihnen waren vorher nicht suspendiert worden. Da viele LehrerInnenstellen ohnehin nicht besetzt waren, fehlen in der Türkei beim Beginn des Schuljahres am 19. September über 130 000 LehrerInnen. Alleine in Diyarbakir wurden vor wenigen Tagen 4500 LehrerInnen suspendiert. Eine Demonstration von LehrerInnen löste die Polizei gleich am Anfang mit Gewalt auf. Die meisten TeilnehmerInenn wurden festgenommen.

Insgesamt wurden während des Ausnahmezustandes etwa 80 000 Menschen aus dem öffentlichen Dienst entlassen, darunter ein Fünftel aller Richter und Richterinnen. Bei den hohen Gerichten ist die Zahl der Entlassenen überproportional. Für zahlreiche Firmen wurden Treuhänder eingesetzt, viele wurden zwangsliquidiert, darunter auch Kliniken. Heute morgen (11.) wurden 28 BürgermeisterInnen durch Treuhänder ersetzt. Die Betroffenen Gemeinden liegen fast alle im Osten des Landes. Vermögen von Privatpersonen, Firmen und Kommunen kann beschlagnahmt werden, was auch bereits im Gange ist. Immer wieder gibt es Berichte, dass auch gegen Angehörige vorgegangen wird. Es gibt Pläne, den Ausnahmezustand nach dem 20. Oktober um weitere drei Monate zu verlängern. Wegen des Ausnahmezustandes unterliegen die Dekrete der Regierung keiner gerichtlichen Kontrolle und nur einer nachträglichen parlamentarischen Kontrolle. Diese nachträgliche Kontrolle wird jedoch von der Regierungspartei ausgehebelt. Selbst Erdogan hat mittlerweile Zweifel daran geäußert, dass die Entlassungen immer die Richtigen getroffen haben. Gleichzeitig dringt er aber auf Eile bei den Säuberungen. Die Bevölkerung ist zur Denunziation aufgerufen. Die Unschuldsvermutung ist ganz offenbar in ihr Gegenteil umgekehrt worden. jk

Das Letzte: Nach einer Erhebung der türkischen LehrerInnengewerkschaft Egitim Sen waren 9 843 von 11 301 LehrerInnen, die letzte Woche vom Dienst auf unbestimmte Zeit suspendiert wurden, Mitglieder der Gewerkschaft. Macht 87 % und zeigt, wie solche Listen aufgestellt werden und wozu sie unter anderem dienen.