Teilen heißt Tauschen - Die Lüge der Share Economy

Teilen heißt Tauschen - Die Lüge der Share Economy

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Der Wert von Airbnb wird von Private-Equity-Firmen inzwischen auf bis zu 10 Milliarden Dollar beziffert.
Lizenz: 
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Quelle: 
airbnb.de

(sb) Die Vorbereitungen für den zweiten International Collaboration Day sind in vollem Gange. Am 17. Juli werden sich in weltweit 48 Städten Protagonist*innen der Share Economy treffen und ihren Aufbruch in eine bessere Welt zelebrieren; Eine Welt, in der Ressourcen vertrauensvoll miteinander geteilt werden und am Ende alle profitieren: die Umwelt, die Konjunktur, die Lebensqualität. Es geht ihnen um eine neue Form des Wirtschaftens, bei der der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Und es geht ihnen um´s Geldverdienen. Der Star der Szene, das Unternehmen Airbnb, das private Ferienwohnungen vermittelt, ist nach Bewertungen von Private-Equity-Firmen inzwischen zehn Milliarden Dollar wert. Die Branche des Teilens verspricht satte Profite. Doch auf dem International Collaboration Day über Profite zu reden, käme wohl einem Affront gleich. Denn hier will mensch „Ideen und Projekte [...] verbinden und fördern, die sich für den gesellschaftlichen Nutzen des Teilens, der Zusammenarbeit und Offenheit einsetzen“. Klingt viel besser. Aber Profite entstehen durch Verwertung. Irgendjemand muss den Preis dafür bezahlen. Sind es die Millionen begeisterten Teilenden letzten Endes selbst?

Die Share Economy wird erst durch die spezifische Gesellschaftsstruktur des Informationszeitalters ermöglicht. Vielfältige Transformationen führten Ende des 20. Jahrhunderts zu einer Neudefinition von Produktion, Konsum, Macht, sozialer Erfahrung und schließlich der Kultur. Dinge neu zu definieren ist bezeichnenderweise auch liebstes Pläsier der Share-Economy-Enthusiast*innen: Airbnb will „neue Reiseerlebnisse“ schaffen, die Privattaxivermittlung Uber „revolutioniert die Art, wie wir uns fortbewegen“, und die bestens motivierte Website KoKonsum.org will gleich unsere „allgemeine Lebensweise verändern“. Denn neue Rahmenbedingungen ermöglichen neue Produkte, die verkauft werden können. Die Share Economy versteht es, die entstehenden Marktlücken zu füllen. Durch die Etablierung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien konnte sich eine global agierende „neue Ökonomie“ herausbilden, deren Produktivität auf der möglichst effizienten Verarbeitung von Information und ihrer Organisation in flexiblen Netzwerken basiert. Wenn die Produktion materieller Güter keine großen Gewinne mehr verspricht, lassen sich die Unternehmen eben für die Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage bezahlen. Bei Airbnb nennt sich das dann Servicegebühr und kostet 3% des Buchungswertes. Dieses Geschäftsmodell profitiert von jedem gekauftem Smartphone und jeder heruntergeladenen App. Weil uns das Internet durch die Möglichkeit permanenter Kommunikation in Echtzeit effizient vernetzt, werden Slogans wie „1 Mal tippen und Dein Uber ist in wenigen Minuten da“ ermöglicht. Die Vorherrschaft der Netzwerke über hierarchisch organisierte Strukturen, wie sie traditionelle Großkonzerne kennzeichnen, gründet in ihrer neu gewonnenen Fähigkeit, Entscheidungsfindungen zu koordinieren, durch Feedback-Effekte zu evaluieren und dabei die Ausführung zu dezentralisieren. Startups, die diese Vorzüge nutzen, konnten vielfach Platzhirsche verdrängen, die wiederum fiebrig an ihrer Umstrukturierung arbeiten. Von den über 15 Millionen Gästen, denen Airbnb bereits eine Unterkunft vermittelte, können die meisten konventionellen Hotelketten nur träumen.

Auch das Verständnis von Arbeit und Beschäftigung hat sich grundlegend geändert. Selbstständigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind die charakteristischen Merkmale des neuen Arbeitsmarkts. Das bislang eher von der FDP bekannte Mantra der Flexibilisierung hat in der Share Economy Hochkonjunktur. Nicht umsonst nennt sie der Publizist Evgeny Morozov „Neoliberalismus auf Steroiden“. Wer seine Produkte oder Dienstleistungen in Netzwerken anbietet, arbeitet auf eigenes Risiko. Je größer das Netzwerk, desto größer die Konkurrenz. Und wer nicht mehr nützlich ist, wird eben aus dem Netzwerk herausgelöst. Was abstrakt noch recht harmlos klingt, stellt im Zweifelsfall ganze Existenzen zur Disposition. Doch die Unsicherheit wird von den Legionen der neuen Mikrounternehmer*innen nicht etwa zähneknirschend in Kauf genommen. Sie wird als Selbstverwirklichung und Autonomie aktiv gefeiert.

Diese Umdeutung ist die Ideologie, die das Engagement im Kapitalismus nicht nur rechtfertigt, sondern sogar wünschenswert erscheinen lässt. Es wird ein Sinn konstruiert, der über die bloße Profitsteigerung hinaus geht. Die französischen Theoretiker*Innen Luc Boltanski und Ève Chiapello bezeichnen dies als „Geist des Kapitalismus“. Mit der Herausbildung der „neuen Ökonomie“ veränderten sich auch ihre Rechtfertigungsstrategien und somit das Verständnis von Gerechtigkeit. Die momentan vorherrschende Rechtfertigungslogik bezeichnen Boltanski und Chiapello als „Eine Form der Gerechtigkeit, die einer vernetzten Welt entspricht“. In dieser vernetzten Welt kann sich profilieren, wer fähig ist, sich in ständig neuen Projekten zu engagieren. Stillstand ist keine Option. Stabilität, Verwurzelung oder Bindung an Personen und Dinge könnten die in der Netzwerkgesellschaft überlebenswichtige Mobilität beeinträchtigen. Den Zeitgeist zu leben und sich die vermeintlich individuellen Wünsche zu erfüllen, bedeutet mithin nichts anderes, als das eigene Leben dem Anforderungsprofil des neuen Verwertungssystems anzupassen und unterzuordnen. Mit Selbstverwirklichung hat das wenig zu tun.

Dinge zu besitzen bremst also aus. Und das ist die Marktlücke der Share Economy, deren Essenz der Gedanke ist, dass Bedürfnisse umso effizienter befriedigt werden können, wie sich der Ballast des Besitzes reduziert. Es geht nicht mehr um Eigentum, sondern um permanenten Zugang zu materiellen Dingen wie auch Dienstleistungen und Wissen. Warum soll ich ein Auto besitzen, wenn ich über die Apps von Sidecar oder Uber eine günstige Mitfahrgelegenheit buchen kann? Warum in der Nachbarschaft fragen, wenn die Website Zilok schon weiß, wer mir den den Beamer für´s Halbfinale oder die Lampions für die nächste Grillparty gegen einen kleinen Obolus verleihen würde?

Aber was sich in der Sprache der Share Economy Teilen nennt, ist eigentlich ein Tausch. Sogar mehr als das: Zusätzlich soll auch noch ein Mehrwert generiert werden. Ganz klassisch werden Güter und Arbeitskraft verkauft, nur eben zeitlich befristet. Das lässt die Anzahl der Transaktion dramatisch steigen. Und an jeder einzelnen verdienen Unternehmen wie Airbnb mit. Ihre Profite werden von den Nutzer*innen ihrer Netzwerke erwirtschaftet. Und das in mehr und mehr Lebensbereichen, die bislang von der Kommerzialisierung ausgenommen waren. Zu glauben, sie alle täten das aus den selben hehren Motiven, die nicht zuletzt beim International Collaboration Day promotet werden, wäre naiv. Viele vermieten das eigene Schlafzimmer nicht auf der Suche nach neuen Freund*innen oder Erfahrungen. Es geht ihnen schlicht um die Existenz. Aus den „konventionellen“ prekären Arbeitsverhältnissen werden sie in die nächste Abhängigkeit gedrängt. Nur ist es ihnen diesmal selten bewusst. Der Unterschied zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit geht verloren. Airbnb-Gründer Brian Chesky bringt es auf den Punkt und spricht von: „Menschen als Unternehmen". Schöne neue Welt.