COVID 19 in Iran: Schuld der Dschinns oder Biowaffe des US-amerikanischen Feindes?

Schuld der Dschinns oder Biowaffe des US-amerikanischen Feindes?

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Minou

Fünf Monate im Iran haben mich einen ersten, sehr oberflächlichen Eindruck des Landes erhalten lassen – dieser hat mir, neben vielen anderen Einsichten, gezeigt, dass unvoreingenommene objektive Informationen ein seltenes Luxusgut darstellen, da sämtliche Neuigkeiten zu Zwecken einer politischen Agenda genutzt werden können. Dies wird potentiell auch intensiv umgesetzt, sowohl von pro-iranischen Nachrichtenportalen als auch von der regierungskritischen Berichterstattung aus dem Ausland. Die gewonnenen Perspektiven sind daher entweder als subjektiv zu werten oder wurden entsprechend einer tendenziösen Agenda veröffentlicht.

In der öffentlichen Wahrnehmung übte sich die iranische Regierung als erstes im Verschweigen – mittlerweile wird gemutmaßt, dass die ersten Fälle von Corona-Erkrankungen bereits Ende Januar 2020 auftraten, offiziell bekanntgegeben wurden erste Verdachtsfälle allerdings erst wenige Tage vor den hiesigen Parlamentswahlen am 19. Februar. Es wurde vermutet, dass Menschen aus – berechtigter – Angst vor Ansteckungsgefahr nicht am kurz zuvor statt gefundenen 41. Jahrestag der islamischen Revolution am 11. Februar teilgenommen hätten. Doch gerade die Bilder der jubelnden Menschenmassen auf den Straßen sind intendiert als Legitimation der Staatsführung für die nationale und internationale Berichterstattung. Die Veröffentlichung erster Krankheitsfälle kurz vor den Parlamentswahlen wiederum erlaubte die Instrumentalisierung von Corona zur Erklärung für die erwartete geringe Wahlbeteiligung.

Nach dem anfänglichen Verschweigen folgte eine kurze Phase des Negierens und Ignorierens, in der die potentielle Gefährdung kaum ernst genommen wurde, kaum eine Aufklärung über empfohlene Verhaltensweisen stattfand und die Staatsführung kaum offizielle Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung einleitete. So bestand auch eine eklatante Diskrepanz zwischen den offiziell verlautbarten Infektions- und Todesfällen und den internationalen Vergleichswerten, Schätzungen der WHO und inoffiziellen Schätzungen lokaler MitarbeiterInnen im Gesundheitssektor, welche von ausländischen Medien zusammengetragen wurden.

Das anschließende zögerliche Handelns lässt ebenfalls vermuten, dass der zunehmende Ernst der Lage kaum anerkannt wurde. Zwar wurden bereits nach wenigen Tagen die Schulen und Universitäten geschlossen, alle Mitarbeitenden zu Heimarbeit und die Studierenden zu einer Rückkehr in ihre Herkunftsorte aufgefordert. Doch in den meisten Städten ging das öffentliche Leben scheinbar fast unvermindert weiter, einzelne geschlossene Geschäfte und verkürzte Öffnungszeiten fielen in den nach wie vor belebten Straßen kaum auf. Auch wurden die sich widersprechenden Angaben zu Reisewarnungen, Durchfahrtsbeschränkungen und Straßenkontrollen von der Bevölkerung kaum ernst genommen. Mittlerweile im ganzen Tehraner Stadtgebiet verteilte, groß plakatierte Verhaltensempfehlungen und über SMS verteilte Informationen führten zwar zu einem zunehmenden Bewusstsein und aufmerksameren Verhalten der Menschen, eine große Unsicherheit schien dennoch zu bestehen.

Zwischenzeitlich versuchten sich Teile der geistlichen Führung des Landes auch auf Aberglaube zu stützen, indem die Pandemie mit übernatürlichen Wesen erklärt wurde und ein Essen der heiligen Erde von den Gräbern der Angebeteten angeblich immun gegen den Virus machen sollte. Nachdem Todesfälle seitens der Propagierten eine mangelhafte Zuverlässigkeit dieses Verhaltens belegten, wurden entsprechende Verlautbarungen wieder stiller. Auch wurden heilige Schreine und Moscheen als Orte hoher Ansteckungsgefahr erst nach längerem öffentlichen Druck geschlossen.

Die ebenfalls scheinbar kurz gewählte Formulierung der Verleumdung und des Abschiebens der Schuld auf den 'US-amerikanischen Feind' mit dem Vorwurf eines biologischen Angriffs gegen die Islamische Republik wurde aufgrund der globalen Situation sehr bald nicht weiter verfolgt.

Mittlerweile sind die Straßen deutlich ruhiger, die öffentlichen Verkehrsmittel sichtbar weniger frequentiert, Durchfahrtsbeschränkungen und Maßnahmen zur Verkehrsreduktion werden umgesetzt und kontrolliert, fast nur noch Geschäfte zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung sind geöffnet. Zwar sind Parkanlagen nun geschlossen und in sämtlichen Medien werden Anreize zum Aufenthalt in der eigenen Wohnung gegeben - häusliche Beschäftigungsmöglichkeiten wie Fenster putzen und Fitnesstipps wie Gewicht-Stemmen mit Blumentöpfen werden angepriesen – Ausgangsrestriktionen bestehen aber nach wie vor nicht.

Nach dem anfänglich stark verzögerten Verhalten der Regierung werden die Empfehlungen mittlerweile scheinbar von einem größeren Teil der Bevölkerung umgesetzt: soziale Kontakte werden reduziert, wer es sich leisten kann, bleibt zu Hause, lässt sich die benötigten Bedarfsgüter von den allgegenwärtigen Lieferdiensten an die Wohnungstür bringen und nutzt für unvermeidliche Strecken ein Taxi. Doch ein nicht geringer Teil der Gesellschaft kann sich ein Wegfallen der Einkommensquelle, als VerkäuferIn, TaxifahrerIn etc, nicht leisten, hat nicht den wirtschaftlichen Rückhalt, einige Wochen oder Monate auf ein Einkommen zu verzichten. Wirtschaftlich marginalisierte und prekarisierte Menschen haben so auch hier nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit, persönliche Vorsichtsmaßnahmen gegen die Erkrankung oder Übertragung zu treffen. Und während wirtschaftlich besser aufgestellte Länder Hilfspakte zur finanziellen Unterstützung schnüren, ist die Iranische Republik bereits selbst bankrott: sie war genötigt, einen 5 Mrd. Dollar umfassenden Kredit bei dem Internationalen Währungsfonds (IMF) zu beantragen, um überhaupt angemessen gegen die Pandemie reagieren zu können, - staatliche Unterstützungen bei Einkommenslücken sind so bisher kaum absehbar.

Und während international über Erkenntnisse aus der Situation nachgedacht wird, erste Forderungen nach einer stärkeren Anerkennung der Beschäftigten im essentiellen Gesundheitswesen zum Beispiel, der Hervorhebung sozialen Austauschs als Mittel der Resilienz gegenüber zukünftigen Situationen oder eine Ausrichtung von Wirtschaftsunterstützungen in zukunftsorientierte emissionsarme Industriezweige, ist die iranische Zivilgesellschaft auch weiterhin mit der Aufarbeitung der politischen Unruhen der letzten Monate und dem Finden einer Lösung für die eigene Zukunft beschäftigt.

(Minou)