Dear White People. Check Your Privilege: "Orte, Dinge, Menschen". Eine poetische Begegnung mit Gastarbeiter*innen

"Orte, Dinge, Menschen". Eine poetische Begegnung mit Gastarbeiter*innen

Wie fühlen sich als nicht-weiß gelabelte Menschen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft? Welche Zuschreibungen, welche Stigmata sind mit einer sicht- und/oder hörbaren migrantischen bzw. postmigrantischen Herkunft verbunden? Welche verkürzt-vereinfachten, diskriminierenden Rückschlüsse werden gebetsmühlenartig bemüht und wiederholt, um einen Menschen mit nicht-weißer Identität - eine BiPoc - auf seine Herkunft zu reduzieren? Eine Herkunft, die - im Vergleich zur weißen Mehrheitsgesellschaft - implizit oder explizit als minderwertig eingestuft wird. Ein Minderwert, der zur Rechtfertigung struktureller Ungleichbehandlung, dem Verharrenmüssen auf der untersten oder einer der unteren sozialen Stufen der Leiter herangezogen wird.

Diese und viele weitere Punkte wurden diskutiert (so z.B. der super spannende Vortrag plus Diskussion "Rassismus im Bildungssystem" mit Saraya Gomis), referiert (so z.B. die Podiumsdiskussion "Ich sehe was, was du nicht siehst. Warum wir dringend über Weißsein reden müssen"), poetisch behandelt und geslammt (so z.B. die "Spoken Word"-Peotry mit Azadê Peşmen und Anja Saleh) in dieser zweiten, höchst erfolgreichen und viel besuchten Ausgabe des Symposiums "Dear White People. Check Your Privilege": eine Veranstaltung, die vom 07. bis 11. Januar im E-Werk stattfand und vom Verein Zusammen Leben in Kooperation mit diversen Instituten und Organisationen organisiert wurde.

Dieser Hör-Beitrag widmet sich insbesondere dem Schreibprojekt von Fatma Sagir mit dem Titel "Orte, Dinge, Menschen". Sie ist Wissenschaftlerin und Journalistin und nach vielen Jahren einer Tätigkeit im Kultur- sowie Wissenschaftsjournalismus widmet sie sich nun der Geschichte türkischer Gastarbeiter*innen. Sie will persönliche Geschichten türkischer Gastarbeiter*innen und deren Nachkommen erfahrbar machen. Sie will Einzelschicksale erzählen, ihnen ein Gesicht geben, damit deren Erfahrungen und Lebensleistungen nicht mit deren Tod für immer verschwinden. Sie will aber auch von deren Traumatisierung durch Entwurzelung sowie Verletzungen aufgrund gesellschaftlicher Ablehnung, Abwertung und mangelnder Anerkennung erzählen und damit einzelne Ereignisse in Bezug setzen zu gespeicherten, nicht vergessenen Erinnerungen. Denn bisher existieren die Geschichten türkischer Gastarbeiter*innen nicht, sie haben keinen Platz in deutscher Geschichtsschreibung, sie finden bisher keinerlei Beachtung in deutscher Erinnerungskultur, und dies obwohl sie am Wiederaufbau Nachkriegsdeutschlands wesentlich beteiligt waren und obwohl sie seit den 1950er Jahren einen Teil der deutschen Gesellschaft bilden.

Fundamental ist daher, Gastarbeiter*innen sichtbar zu machen, ihnen eine Stimme zu geben, indem sie aus der abstrakten Masse herausgehoben und als Individuen erkennbar werden. Fatma Sagir schafft türkischen Gastarbeiter*innen mit ihren Texten einen literarischen Raum. Durch ihre Literatur verbürgt sie sich für deren Lebens- und Identitätsversicherung.