Coronavirus und Machstrukturen: Mindestabstand: Wer kann sich das leisten?

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Mindestabstand: Wer kann sich das leisten?

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Mit dem Ausbruch des Coronavirus wird uns klar, dass soziale Ungleichheiten und Machstrukturen tödlich sein können. Der Arbeitsplatz, die Wohnsituation, der Aufenthaltsstatus und die Klassenzugehörigkeit prägen unser Leben. Diese Privilegien entscheiden maßgeblich darüber, ob jemand überhaupt Zugang zu einem gesunden Lebensstil hat.

Nach Statistiken sollen sich weltweit schon mehr als 336 000 Menschen infiziert haben. Die Zahlen der Erkrankten und Toten steigen sehr schnell. Für die meisten war das Virus nicht gefährlich. Über 98 000 der Infizierten sind wieder gesund, heißt es. Es sind aber auch schon Menschen an Covid-19 gestorben: Weltweit sollen es etwa 15000 Menschen sein. In Deutschland sind mittlerweile über 24 000 Menschen infiziert. Über 97 sind bisher gestorben.

Seit Samstag den 14. März gelten in mehreren Bundesländern verschärfte Regelungen. In manchen Städten gilt Betretungsverbot von Straßen, Wegen, Gehwegen, Plätze, öffentlichen Grünflächen und Parkanlagen. Das Haus oder die Wohnung sollen nur noch für dringende Angelegenheiten verlassen werden, darunter fallen Lebensmitteleinkäufe, Arztbesuche, Hilfeleistungen für unterstützungsbedürftige Personen sowie der Weg zur Arbeit und zur Unterbringung von Kindern in der Notbetreuung. Im Freien aufhalten dürfen sich Menschen allein, zu zweit oder mit den Personen, die im eigenen Haushalt leben. Von allen anderen Personen ist ein Mindestabstand von 1,50 Meter einzuhalten. Dies gilt auch für die Nutzung von Bussen und Bahnen.

Diese Maßnahmen wurden eigentlich zu spät ergriffen. Anfang letzter Woche dachten viele Leute noch, dass dieser Virus harmlos wäre oder dass er wieder „gehen“ würde. Im Hinblick auf das, was im Westen passiert, ergreifen viele Staaten des globalen Südens jetzt schon Maßnahmen.

In Afrika wächst die Sorge vor dem Coronavirus. Die Gesundheitssysteme in zahlreichen Ländern sind schlecht, viele Menschen haben überhaupt keinen Zugang zu medizinischer Infrastruktur.

In Kamerun beispielsweise, wo es jetzt schon 40 Fälle gab, hat der Gesundheitsminister die Ausgangssperre angekündigt. Allerdings fragen sich alle, wie es funktionieren soll. Die Ratschläge des Ministers erweisen sich für viele Menschen als realitätsfern, weil sie kein sauberes Wasser und Seife haben, geschweige denn alkoholbasierte Reinigungsmitteln. Zudem sind viele unterernährt oder haben Vorerkrankungen, weshalb sie einer Infektion weniger entgegensetzen könnten.

Leute sollen zu Hause bleiben, fernsehen, aber der Strom fällt zwei, drei Mal am Tag aus.  Die meisten Menschen leben von kleinen Geschäften. Sie sind nicht versichert, sie bekommen keine Hilfe vom Staat.  Wenn sie nicht arbeiten gehen, werden sie keine Hamsterkäufe machen können, wie es hier der Fall ist. Distanz halten? Wie soll es in einem Land funktionieren, in dem Menschen von Taxi oder Motorad-Taxi fahren leben?

Reden wir mal über Distanz. Etwa 20.000 Menschen leben im Camp Moria auf Lesbos (Griechenland). Das Lager für Geflüchtete ist überfüllt, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. Immer wieder kommt es zu Bränden. Im Lager gibt es einen einzigen Wasserhahn für über tausend Personen, tagelang herrscht Wassermangel und Seife müssen die Geflüchteten selbst kaufen. Es ist kalt, die Menschen leben überwiegend in Zelten, viele haben geschwächte Abwehrkräfte, werden krank oder haben chronische Erkrankungen – wären also Corona-Risikopatienten. Im Camp leben etwa 7000 Kinder. Wie soll man da gewährleisten, dass diese nicht miteinander spielen?

Auch in Camps in Deutschland ist die Situation nicht viel besser. Besonders dramatisch ist die Lage in einer Erstaufnahmeeinrichtung im thüringischen Suhl. Dort sitzen seit letzter Woche 533 Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Quarantäne, nachdem ein Bewohner positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Der Mann war erst an diesem Tag in die Einrichtung gekommen. Aus dem Thüringer Ministerium für Migration hieß es auf »nd«-Anfrage, die betroffene Person befinde sich in der Isolation und unter ärztlicher Kontrolle. Durch die zuständige Amtsärztin sei daraufhin für die Einrichtung Quarantäne verhängt worden. Damit gehe eine Ein- und Ausgangssperre einher. Die Quarantäne gelte mindestens 14 Tage. Wenn man bedenkt, dass sich die Menschen schon in einer Art Gefängnis befinden, in dem sie beim Ein- und Ausgang kontrolliert werden, kann man sich vielleicht vorstellen, wie schwierig eine totale Isolation sein könnte.

So legt die Coronakrise die Machtverhältnisse schonungslos offen. Diese ganze Situation sollte uns zum Nachdenken bringen.6:15

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Corona virus and power structures

Minimum distance: Who can afford it?

With the outbreak of the #Coronavirus, we realize that social inequalities and power structures can be fatal. The workplace, the living situation, the residence status and social class shape our lives. These privileges largely determine whether someone has access to a healthy lifestyle at all.

 

According to statistics, more than 336 000 people are said to have been infected worldwide. The number is increasing very quickly. The virus was not dangerous for most of them. It is said that over 98 000 have recovered. But people have also died of Covid-19: There are said to be over 15,000 people worldwide. Over 24,000 people are infected in Germany. Over 97 have died so far.

 Measures are being taken in many countries like Germany. Since Saturday, March 14th, stricter regulations have been applied in several federal states. In some cities, roads, paths, sidewalks, squares, public green spaces and parks are prohibited. The house or apartment should only be left for urgent matters, including groceries, visits to the doctor, assistance for people in need of assistance and the way to work and to accommodate children in emergency care. People are only allowed to stay outdoors, alone, in pairs or with the people they live with. A minimum distance of 1.50 meters must be kept from all other people. This also applies to the use of buses and trains. These measures were actually taken too late. At the beginning of last week, many people still thought that this virus was harmless or that it would "go" again. Many countries in the global south are already taking action on what is happening around the world. In Africa, there is growing concern about the corona virus. Health systems in many countries are poor, and many people have no access to medical infrastructure at all. In Cameroon, for example, where there have already been 40 cases, the Minister of Health has announced a curfew. However, everyone is wondering how it should work. The minister's advice turns out to be unrealistic for many people because they do not have clean water and soap, let alone alcohol-based cleaning agents. In addition, many are malnourished or have previous illnesses, which is why they could be less likely to counter infection. People should stay at home, watch TV but there is power failure two three times a day.Most people live on small businesses. They are not insured and receive no help from the state. If they don't go to work, they won't be able to make hamster purchases, as is the case here.Keep your distance? How should it work in a country where people live from taxi driving or moto-taxi drinving? Let's talk about distance. About 20,000 people live in Camp Moria on Lesbos (Greece). The camp for refugees is overcrowded, the hygienic conditions are catastrophic. There are always fires. There is a single tap in the camp for over a thousand people, there is a lack of water for days and the refugees have to buy soap themselves. It's cold, people mostly live in tents, many have weakened immune systems, get sick or have chronic illnesses - so they would be corona risk patients. About 7000 children live in the camp. How can you ensure that they don't play with each other? The situation is no better in camps in Germany either. The situation in a first arrival camp in Suhl in Thuringia is particularly dramatic. Since last week, 533 residents of the country's first camp have been in quarantine after a resident tested positive for the corona virus. The man had only come to the camp that day. From the Thuringian Ministry of Migration it was said on "nd" request that the person concerned was in isolation and under medical supervision. The competent medical officer then issued quarantine for the camp. This goes hand in hand with an entry and exit lock. The quarantine is valid for at least 14 days. If you consider that people are already in a kind of prison in which they are controlled when entering and exiting, you can imagine how difficult total isolation could be for them. The corona crisis relentlessly discloses power hierarchies. This whole situation should make us think.4:45