Medienpolitik in den 90ern

Medienpolitik in den 90ern

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Medienpolitik in den
90ern

Elf aufregende Jahre im Untergrund waren
vorbei, als Radio Dreyeckland am 23. November seine eigene 24 Stunden
Frequenz bekam. Die verklärten Rundfunkpiraten wurden sesshaft.
Zwar gab es an geheimem Ort immer noch eine versteckte Sendeantenne
- für den Fall der Fälle, dass man wieder in die Illegalität
abtauchen müsse -, wie man mobile Sendeanlagen baut und sie einsetzt,
wussten noch viele. Dennoch, das Räuber- und Gendarm-Spiel war
endgültig beendet.

Nicht nur die traditionellen Gegner
von RDL waren davon überzeugt, dass das Radio in der Legalität
scheitern würde. Einen 24 Stunden Betrieb würden die ehrenamtlichen
RadiomacherInnen aus der Musik- Polit- Frauen- Öko- und sonstiger
linker Szene kräftemäßig nicht durchstehen, und wenn
doch, dann zerfleischen sie sich gegenseitig in ideologischen Kontroversen.
Außerdem könne ein Radio, das auf Werbung verzichtet, sowieso
nicht überleben.

Fast alles, was die Gegner und die solidarischen
Skeptiker prophezeiten, ging dann auch in Erfüllung: Die Arbeitsbelastung
war enorm, die Sendelöcher riesig, der Dilettantismus atemberaubend,
die Grundsatzdebatten (im verrauchten Jos-Fritz-Cafe) über das
Wie und Wohin endlos. Geld gab es keines, dafür aber Intrigen
und Flügelkämpfe, Studiobesetzungen und Mikrofonverbote.

money
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Bald war klar, dass die Überlebenschancen
von RDL als Einzelkämpfer in der Rundfunklandschaft sehr gering
waren. Lizenziert wie ein herkömmliches Privatradio konnte RDL
nicht lange durchhalten. Die Bedingungen für eine eigene rechtliche
Verankerung im Mediengesetz und die damit einhergehende finanzielle
Unterstützung des Gruppenradios mit dem sogenannten Kabelgroschen
waren die Voraussetzungen zum Überleben.

Die Devise "Wir haben keine Chance,
also nutzen wir sie!" wurde ausgegeben, und das scheinbar Unmögliche
versucht. Ein dezidiert linkes, ehemaliges Piratenradio als eigenständige
Rundfunksparte sollte im Landesmediengesetz verankert werden. Dagegen
sprach nicht nur die absolute CDU-Mehrheit im Landtag, sondern auch
das Zögern der Opposition. Die SPD hatte die Hosen voll, als
sie länger darüber nachdachten, welche Linksradikalen da
in die Hand eines Rundfunksenders gelangen könnten.

2000 Mitglieder, hervorragende Verbindungen
zu gesellschaftlich relevanten Kräften wie Gewerkschaften und
die neuen sozialen Bewegungen in der Medien- und Politszene wurden
in eine Waagschale geworfen. Klassische Lobbyarbeit mit vielen Telefonaten,
Briefen und Gesprächen erledigten die größten Nervensägen
von RDL. Bis dann endlich der legendäre Anruf von Günter
Öttinger (Chef der CDU-Landtagsfraktion) kam, man möge doch
bitte die unzähligen Flugblattaktionen einstellen und zu einem
konstruktiven Gespräch in die Landeshauptstadt reisen.
Auch diese Hürde war genommen. Die Novellierung des Landesmediengesetzes
sah Ende 1991 vor, dass nicht-kommerzielle Rundfunkanbieter, die gesellschaftlichen
Kräften eigengestaltete Sendeplätze einräumen, vorrangig
mit Frequenzen ausgestattet werden können. Als das Gesetz Anfang
Januar den Landtag passierte, dachten wahrscheinlich die wenigsten
daran, dass es außer RDL noch mehr nicht-kommerzielle Initiativen
geben könnte, die auch eine Rundfunkstation betreiben wollen.

Es gab sie aber: Die Querfunkerinnen
im Ländle. Im Mai 1993 schlossen sie sich zu einem Landesverband
zusammen (Assoziation Freier Gesellschaftsfunk) um so ihre Interessen
besser wahrnehmen zu können. Heute sind es 9 Freie Radios in
Baden-Württemberg.

Thomas Schrecker,
u. a. Öffentlichkeitsarbeiter bei Radio Dreyeckland von 1989
bis 1997. Legendär durch seine beispiellose Leistung während
der Mitgliederwerbekampagne 1995, als er an einem Abend 32 Mitglieder
für den Freundeskreis warb und 82 in einer Woche.