Freies Radio seit 1977

Freies Radio seit 1977

 


Am 4. Juni 1977 wurde zum ersten Mal "frei" gesendet: Es waren zwölf Minuten, die Geschichte machten. Mit einem kleinem, leistungsschwachen Sender und einer Antenne, die symbolträchtig auf einem Strommast der französichen Elektrizitätsgesellschaft "EDF" installiert worden war. Der Kampf gegen den Atommeiler Fessenheim blieb schließlich erfolglos, aber die AtomkraftgegnerInnen von dies- und jenseits des Rheins erkannten in diesen Wochen, dass ein Radiosender ein äußerst praktisches Mittel zur Verbreitung von Informationen ist, die in den bürgerlichen Medien verschwiegen oder verfälscht werden.
Aus einem Radio der Ökologiebewegung wurde ein Radio, das auch in anderen Bereichen für Gegenöffentlichkeit sorgt - beispielweise bei der Berichterstattung über die Hausbesetzungen in Freiburg oder über Arbeitskämpfe in Baden und im Elsaß.

 

Hier nur einige der Meilensteine der RDL - Geschichte.
4. Juni 1977: Nach vorheriger öffentlicher Ankündigung wird um 19.45 Uhr die erste Sendung von Radio Verte Fessenheim (ab 1981 Radio Dreyeckland) vom Platz um den besetzten Atomstrom - Mast bei Heiteren ausgestrahlt. Trotz der geringen Reichweite von wenigen Kilometer erregt die zwölfminütige Sendung viel Aufsehen. Von nun an sendet das erste freie Radio jeden Samstag auf UKW in französisch, deutsch und alemannisch. Von deutschen und französischen Behörden wird das Radio als "Piratensender" verfolgt. Mit Hubschraubern, Polizei- und Postfernmeldewagen versucht man den Sender anzupeilen und zu beschlagnahmen, was in zehn Jahren der "Untergrundexistenz" mit dem Fund einer automatischen Sendeanlage nur ein Mal gelang.
1979: In Freiburg bildet sich eine Badische Redaktion von Radio Verte. Das inhaltliche Spektrum der Sendungen wird mit der Zeit immer vielfältiger: Zur Berichterstattung über Umweltthemen kommen jetzt Live-Sendungen aus elsässischen Dörfern und aus einer von Arbeitern besetzten Fabrik in Colmar.
1982: Eine wöchentliche, öffentlich zugängliche Redaktionssitzung wird in Freiburg eingerichtet, dreihundert Gründungsmitglieder machen den Freundeskreis Radio Dreyeckland zum Verein. Ein festes Studio wird in Betrieb genommen.
1984-1985: Das Bundestreffen der freien Radios findet in Freiburg statt.
Eine Großveranstaltung von mehr als 60 politischen und kulturellen Gruppen protestiert gegen das geplante Kommerz-Pilotprojekt von SWF und Zeitungsverlegern "Stadtradio".
4000 Menschen demonstrieren in Freiburg für RDL und gegen die Medienpolitik der Landesregierung, 12000 Unterschriften für eine Lizenz für RDL werden gesammelt.
RDL führt den täglichen Sendebetrieb ein - es gibt mehr Zeit für Themenschwerpunkte, eigene Musiksendungen und eine aktuelle Nachrichtensendung.
Der Freundeskreis unternimmt einen erneuten Legalisierungsversuch für RDL. Die Landesregierung lehnt ab.
Mit dem "Radiofrühling" nimmt RDL den Sendebetrieb aus Freiburg auf. Die "Frequenzbesetzung" wird von einer umfangreichen Veranstaltungsreihe begleitet.
Es folgen Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmeaktionen der Polizei.
Der Landtag in Stuttgart verabschiedet ein neues Mediengesetz, das den kommerziellen Privatradios endgültig den Durchbruch ermöglichen soll - nichtkommerzielle Radios sind darin nicht nur nicht vorgesehen, sondern haben auch erhebliche Hürden zu überwinden, um überhaupt eine Lizenz zu erhalten. Die Mitgliederversammlung des Freundeskreises RDL beschließt trotzdem, einen Lizenzantrag zu stellen - und hat nach langem Kampf auch Erfolg.
1987: Die inzwischen gegründete Radio Dreyeckland - Betriebs GmbH erhält die Lizenz, wenn auch nur für eine geringe Sendezeit auf zwei verschiedenen Frequenzen.
1988: Der Sendebetrieb aus dem Studio im Freiburger Grether - Gelände wird aufgenommen. Am gleichen Tag verkündet einer der Mitbewerber um die Frequenz, der "Badische Verlag", dass er seine Lizenz zurückgibt, und bringt damit RDL seinem Ziel, einer ganzen Frequenz für sich, einen wesentlichen Schritt weiter. Erst nach Auseinandersetzungen mit der Lizenzbehörde, der Landesanstalt für Kommunikation, ist es am 23. November 1988 schließlich soweit: Radio Dreyeckland sendet erstmals legal auf einer eigenen Frequenz, der 102,3 Megahertz - zunächst höchstens elf Stunden täglich, später dann mit Einrichtung des Morgenradios, 19 Stunden täglich, um dann zum 24-stündigen Betrieb überzugehen.

Seither bemühen sich bis zu 250 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 15 Sprachen, eine Reihe von politischen, sozialen und kulturellen Gruppen aus der Region und ein Dutzend koordinierend tätiger Honorarkräfte darum, die Utopie des Freien Radios in die Realität umzusetzen: Ein Radio, das offen ist für alle, das diejenigen sprechend macht, die sonst nicht oder unzureichend zu Wort kommen, das parteilich und "von unten" informiert, das Kontroversen öffentlich macht und öffentlich austrägt, das nicht einschläfern, sondern aufwecken will, das die Kommunikation anregt, statt sie veröden zu lassen. Ein freies Radio hat sich also auch heute noch nicht überlebt, sondern -wenn auch vielfach verändert - immer noch eine wichtige Funktion.
Radio Dreyeckland legte in den letzten 10 Jahren vermehrt das Gewicht auf die Vernetzung der freien Radios in Deutschland und Europa, und auch in Übersee. Die RDL - Projekte Interkonnexiones (IKX) und Polyphonia, die von der EU mitfinanziert wurden, halfen verschiedene Medienprojekte in (beispielweise) Spanien, Österreich, Italien, England und Latein-Amerika zu vernetzen Polyphonia trat dabei in den letzten zwei Jahren gegen die Diskriminierung von Menschen nach der Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht oder wegen Behinderung oder ihrer sexuellen Orientierung ein, während InterKonneXiones seit 1992 eine andere Nord-Süd-Kommunikation befördern möchte.
Das Internet - aber auch die verschärften Arbeits- und Lebensbedingungen, die weniger Zeit für ehrenamtliches Engagement lassen - hinterließ auch bei Radio Dreyeckland seine Spuren: Eine tagesaktuelle Berichterstattung ist weniger wichtig geworden, stattdessen können langfristige inhaltliche Schwerpunkte stärker in den Vordergrund treten, wie bspw. in der Sende- und Veranstaltungsreihe "Dokumente der Vergangenheitspolitik" geschehen. Die Archivierung der Sendungen erfolgt über Computer, und der Austausch mit anderen Freien Radios per Internet über die Seite www.freie-radios.net - vom umfangreichen Angebot der eigenen Homepage www.rdl.de ganz zu schweigen.

Aber auch heute noch haben Freie Radios um ihre Existenz zu kämpfen: Die finanzielle Situation von Radio Dreyeckland und vieler anderer ist dauer-prekär, da bspw. die baden-württembergische Landesanstalt für Kommunikation nur 0,1 % der Rundfunkgebühren an die 9 Freien Radios des Bundeslandes auszahlt. Und auch rechtlich umbraust die Freien Radios wieder ein kräftiger Gegenwind: In Baden-Württemberg ist aktuell eine Mediengesetz-Novelle in Arbeit, die eine weitere Verschlechterung in Bezug auf die Frequenzvergabe für Freie Radios bringen wird. Nachdem in den vergangenen Jahren eine Präferenz in der Frequenzvergabe für einen landesweiten Sender nachgeschoben wurde, sollen nun auch Ausbildungs- und Uni-Radios den Freien Radios in der Frequenzvergabe gleichgestellt werden. Diese Tendenz ist auch in anderen Bundesländern zu beobachten - und in einigen Bundesländern werden Freien Radios sogar bis heute keine Lizenzen erteilt.
Der Kampf um den Äther ist also immer noch nicht beendet! Nach wie vor gilt: Hört - Macht - Unterstützt Freie Radios!