Freiburg tritt ohne Debatte der Initiative Motorradlärm bei. Ein Kommentar.

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Freiburg tritt ohne Debatte der Initiative Motorradlärm bei. Ein Kommentar.

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Ein Motorrad auf dem Kandel
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Lente/RDL

Am 29. September beschloss der Gemeinderat auf Antrag von Bündnis90/Die Grünen einstimmig – bei zwei Enthaltungen – der Initiative Motorradlärm beizutreten. Klingt erst mal ganz gut, Lärm will ja nun wirklich niemand haben. Doch ganz so einfach ist es nicht und das eine Stadt am Rande von gleich zwei beliebten Motorradgebieten sich so eindeutig zum Beitritt bekennt dürfte doch verwundern, mindestens jedoch die hier wohnenden Motorradfahrer*innen an den Kopf stoßen.

Doch von Vorne: Die Initiative Motorradlärm wurde auf Initiative des Grünen Lärmschutzbeauftragten der Landesregierung von Baden-Württemberg und einer Bürgermeisterin der CDU aus Sasbachwalden am 29.07.2019 gegründet. Das Ziel: Mit allen Möglichkeiten die existieren Motorradlärm reduzieren. Inzwischen sind der Initiative über 115 Gemeinden beigetreten und im Frühjahr war ihr ein großer Erfolg gelungen: Der Bundesrat hatte am 15. Mai über ihre Forderungen beraten und diese dann an die Bundesregierung weitergegeben mit dem Auftrag diese Umzusetzen. Trotz medialen Fokus auf der Pandemie kamen vor allem in Süddeutschland tausende Motorradfahrer zu Großdemonstrationen auf dem Motorrad zusammen, um gegen die Forderungen zu protestieren. Warum lässt sich gut erahnen, wenn man die konkreten Forderungen genauer anschaut:
 

  1. Motorräder sollen leiser werden durch Vorgaben an die Hersteller über die Zulassungs- und Genehmigungsregeln

  2. Motorräder sollen leiser gefahren werden

  3. Förderung von Umstieg auf nachhaltige und Lärmarme Mobilität

  4. Stärkere Verkehrsüberwachung (sprich mehr Blitzen und Fahrzeugkontrollen) und Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten

  5. Ermöglichung von Beschränkungen und Verboten aufgrund von Lärm

  6. Einführung einer Halterhaftung bzw. Pflicht zum Fahrtenbuch

Das diese Forderungen gerade bei Freizeitfahrer*innen mit einem, nennen wir es mal sportlichen Fahrstil, natürlich nicht auf Gegenliebe stößt dürfte klar sein, doch diese mal außen vor gelassen gibt es eklatante Probleme mit den Forderungen der Initiative Motorradlärm, die Zusammengefasst vielleicht unter mangelndes technisches Verständnis und preußischer Strafmentalität subsumiert werden können. So schreibt der antifaschistische Motorradclub Kuhle Wampe:

Absolut inakzeptabel jedoch ist die einseitige Beschränkung lediglich auf Motorräder. Das ist eindeutig eine Diskriminierung einer Gruppe von Verkehrsteilnehmenden. Wenn Lärmbeschränkung, dann muss dies zwingend für alle Kraftfahrzeuge gelten. Auch PKW-Fahrende mit Sport- oder Klappenauspuff tragen nicht unerheblich zur Lärmbelästigung bei.

Anstatt nur bei den Motorradfahrenden den Hebel anzusetzen und durch Strafverschärfungen zu reagieren, sehen wir die Bundesregierung in der Pflicht, vor allem auf die Herstellenden und Fahrzeugindustrie Einfluss zu nehmen. Ob Motorrad oder PKW, es gibt genügend technische Möglichkeiten, die Lärmemissionen ohne massiven Leistungsverlust zu vermindern. An Stelle des bei hochpreisigen Fahrzeugen von der Fahrzeugindustrie betriebenen „Soundengineerings“ sollte die Gesetzgebung hier durch geeignetere Vorschriften für eine allgemeine Lärmminderung sorgen. Hier sehen wir insbesondere auch im PKW-Bereich Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten.

Das gerade die einseitige Fokussierung auf Motorräder auf wenig Gegenliebe stößt dürfte wenig verwundern, macht es doch wenig Unterschied, ob der laute Angeber-Auspuff nun mit vier oder zwei Rädern fährt. Interessantes Detail dabei: Motorräder mit Elektroantrieb sollen von eventuellen Fahrverboten pauschal ausgenommen werden, obwohl von den wenigen Modellen die es gibt einige definitiv auch den geforderten 80dB Grenzwert überschreiten. Wie laut nun tatsächlich Lärm ist, wird noch einige Debatten auslösen, aber einige interessante Aspekte sollten bei der ganzen Debatte zumindest thematisiert werden. Zum einen gibt es die Zulassungsregeln. Diese sehen eine gewisse maximale Lautstärke im mittleren Drehzahlbereich bei 50km/h als Fahrgeräuschmessung vor. Diese Vorgabe ignoriert komplett das Motorräder häufig im oberen Drehzahlbereich gefahren werden und das solch eine genaue, im realen Fahrbetrieb nicht vorkommende Eingrenzung es besonders einfach macht für die Hersteller mit einem darauf eingestellten Klappensystem genau dann die Lärmemission zu reduzieren, wenn mit 50, bei mittlerer Drehzahl gefahren wird. Und so mogeln die Hersteller sich daran vorbei. Natürlich nicht aus Spaß an der Freude, sondern weil der Kunde angeblich ein Motorrad möchte welches einen guten Klang hat. Dass den Kundinnen meist die Lautstärke egal ist, weil dies nun mal nicht wirklich den Klang beeinflusst, scheint noch niemanden bei den führenden Herstellern aufgefallen zu sein.

Wie schließt man solche Schlupflöcher? Ganz einfach, man fordert eine Geräuschbegrenzung auf 80dB in allen Fahrzuständen. Alle Fahrzustände heißt also auch, im roten Drehzahlbereich bei 250 auf der Autobahn, an der bekanntlich so viele Anwohner*innen zu finden sind. Wieso genau 80dB? Das kann irgendwie niemand erklären. Das diese Vorgabe nur für Neufahrzeuge gilt, eine Veränderung auf den Straßen damit frühestens für die nächste Generation zu bemerken sein könnte...egal, sinnvolle Maßnahmen für das hier und jetzt braucht es ja nicht. Trotzdem, das Messverfahren für die Zulassung muss dieses Schlupfloch schließen, aber das sollte halt auch Hand und Fuß haben.

Interessanterweise gäbe es auch eine ganz andere Möglichkeit an bewohnten Stellen die Geräuschprobleme anzugehen: In einem Pilotprojekt hat das Land an einigen Orten Lärmmessgeräte mit Leuchttafeln aufgestellt, die bei zu lauten Fahrverhalten die Fahrer*innen zum leiser Fahren auffordert. Der Effekt: eine 50 % Reduktion in der Geräuschkulisse. Vielleicht wäre das eher eine Perspektive? Nett wäre natürlich noch, wenn die Tafeln sich nicht nur an Motorradfahrer richten würden, sondern auch an den ach so sportlichen Fahrer in seinem Mercedes mit Klappenauspuff.

Stattdessen wird lieber auf Fahrverbote gesetzt. Die Menge gesperrter Strecken nimmt weiterhin zu, noch ist dieses Vorgehen selten da bisher nur aus Sicherheitsgründen ein Streckenverbot erlassen werden kann. Dazukommen sollen nun Streckenverbote wegen Lärmbelästigung. Diese Forderung ist erstaunlich, betrifft sie doch nur Motorradfahrer*innen, unabhängig davon wer nun wie Laut fährt, ignoriert die Möglichkeit Fahrverbote nach eingetragenen Geräuschwerten in den Fahrzeugpapieren, wie in Österreich gerade eingeführt, auszusprechen und missachtet völlig das nicht jedes Motorrad auf einem Spaßausflug ist. Dazu nochmal der Motorradclub Kuhle Wampe:

Sehr verwunderlich fanden wir auch den Abschnitt der Begründung, der nur vom Motorradfahren als Freizeitvergnügen und Hobby spricht. So gibt es eine erhebliche Anzahl von Verkehrsteilnehmenden, für die das Motorrad wie für andere das Auto ein Alltagsfahrzeug ist und entsprechend auch weitgehend täglich genutzt wird. Und genauso wie Autofahrende mit ihrem Alltagsfahrzeug am Wochenende „ins Grüne“ fahren, tun dies Motorradfahrende auch.

Zudem würden wir es bei der steigenden Verkehrsdichte mit immer mehr Staus und Verkehrskollapsen gerade im urbanen Bereich für sinnvoller halten, sich mit den Vorteilen eines motorisierten Zweirades auseinanderzusetzen, anstatt Zweiräder zu verteufeln und durch einseitige Beschränkungsmaßnahmen zu diskriminieren und (ähnlich wie es jetzt zumindest teilweise bei den Fahrrädern passiert) die Vorteile zu sehen, Motorräder durch spezifische Regelungen da, wo sie sinnvoll einsetzbar sind, gezielt zu fördern.

Elektromotorräder sind derzeit definitiv noch Zukunftsmusik für die meisten Menschen. Wie sinnvoll eine Förderung von Elektro-Mobilität ist, wird schon eifrig bei den Subventionen bei Autos gestritten. Unbeachtet der Hoffnung in eine bessere, elektronische Zukunft, muss auch bedacht werden, dass das Motorrad mit Verbrennungsmotor im Vergleich zu einem Auto bei gleicher Personenzahl fast immer die weniger umweltschädliche Möglichkeit ist um größere Strecken zurückzulegen. Es gäbe die Möglichkeit, weniger auf Lautstärke zu bauen und Menschen zu unterstützen die sagen, dass sie lieber wenig Platz wegnehmen und nur die 2,7l auf 100 Kilometer einer modernen 250 Kubik Maschine verbrauchen.

Die Forderungen für höhere und mehr Strafen selber entsprechen dann wieder der klassischen Konservativen Law and Order Mentalität. So wird beklagt, das Motorradfahrer*innen selten beim Rasen erwischt werden, da sie ja vorne kein Nummernschild hätten und außerdem nicht zu erkennen sein. Das derzeit Schritt für Schritt jede Radarkontrolle durch moderne Kontrollen die Fahrzeuge nicht nur von Vorne, sondern auch von der Seite und von Hinten ablichten ersetzt wird, und dabei die Dichte an Radarkontrollen dieser Art massiv erhöht wird, muss nicht relevant sein – Hauptsache noch mehr Überwachung im Straßenverkehr. Wie viele Fahrer*innen tatsächlich davon kommen in dem sie sagen jemand anders sei gefahren wäre auch mal interessant zu erfassen, nichtsdestotrotz gibt es bei Wiederholungsfällen schon Möglichkeiten die Anfertigung eines Fahrtenbuches anzuordnen, eine allgemeine Pflicht schießt weit über das Ziel hinaus. Dabei wird vom Schuldprinzip Abstand genommen und wieder auf ein Verständnis von Kollektivschuld aufgebaut. Solche Maßnahmen bewegen uns weiter in Richtung Überwachungsstaat und weg von einer etwaigen sinnhaften Sanktionierung von Fehlverhalten, insofern man überhaupt glaub Sanktionen seien dabei hilfreich.

Kehren wir zum Ende auch wieder nach Freiburg zurück. In der Beschreibung der Ausgangslage des Antrags im Gemeinderat heißt es:

Hinsichtlich der Verkehrsart „Motorrad/Krad“ besteht im Stadtgebiet von Freiburg kein erhöhtes Verkehrsaufkommen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit des Verkehrs bestehen innerhalb des Stadtgebiets keine Auffälligkeiten in Verbindung mit dieser Verkehrsart.

Eine Ausnahme hiervon stellt die Strecke der L124 auf den Schauinsland dar. Diese ist bei Motorradfahrenden sehr beliebt und wird entsprechend frequentiert. Auf dieser Strecke kam es regelmäßig zu schweren Unfällen, an denen Motorradfahrende, insbesondere im Freizeitverkehr, beteiligt waren. Aus Verkehrssicherheitsgründen hat die Straßenverkehrsbehörde deshalb seit dem Jahr 2001 eine dauerhafte Sperrung der Schauinslandstraße/L 124 für Motorräder an Wochenenden und Feiertagen für die Zeit vom 01.04. bis 01.11. angeordnet.

Und eben wegen der Lärmbelästigung auf der L124 beantragen die Grünen den beitritt zur Initiative. Das gerade diesbezüglich aber die Frequentierung der Strecke in der Vergangenheitsform geschrieben ist, scheint nicht für die Transferleistung gereicht zu haben das hier schon gehandelt wurde. Komplett ignoriert wird dabei, dass von keiner besonderen Belastung durch Motorräder gesprochen wird. Weshalb also dieser Antrag so unstrittig einfach durch den Gemeinderat rutscht, kann einen nur Ratlos zurücklassen.

Es ist offensichtlich, dass derzeit viele Menschen davon ausgehen das Motorräder sehr Laut sind. Doch nur, weil alle etwas behaupten, entbindet das nicht davon, diese Aussagen auch zu überprüfen. Und wer mal wirklich schaut welche Fahrzeuge bei beliebten Freizeitstrecken tatsächlich Laut sind, wird schnell feststellen, dass es eher selten auf das Fahrzeug selber ankommt.

- Lente Menoit