Rezension: Das Haus am Gordon Place von Karina Urbach

Das Haus am Gordon Place von Karina Urbach

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Rezension: “Das Haus am Gordon Place” ein Spionagethriller von Karina Urbach
Limes Verlag, 2024
rezensiert von Hardy Vollmer - Radio Dreyeckland, März 2024

“Zauberer sind Meister darin, den Blick der Zuschauer von der wirklichen Tat abzulenken. Sie sorgen dafür, dass jeder in eine andere Richtung schaut. Auf etwas Lauteres, Bunteres. Sie erschaffen eine große Illusion für den Zuschauer. So etwas müssen wir erreichen. Eine große Illusion.” (252)
So beschreibt der britische Geheimdienst Offizier Major Blanning die Arbeitsweise, die eine erfolgreiche verdeckte Operation garantiert. Ort der Ansprache: die englische Geheimdienstzentrale in Wien,  im November 1948. Seine Zuhörer: Alex March, Daphne Parson und Marjorie Aitken, die gerade vor einer geheimnisvollen und gefährlichen Operation im sowjetischen Sektor Wiens stehen.
Wien 1948, da umweht einen die Aura von Schmuggel, Verbrechen und Spionage. Da sind wir alle geprägt von der besonderen Atmosphäre des Film “Der Dritte Mann”, der unser Bild von Wien in dieser Zeit prägte. Der Film ist ein Paradebeispiel für das Spielen mit falschen Wirklichkeiten, von Illusionen, wo der Zauberer Harry Lime mit Tod und Leben jongliert. Die Autorin Karina Urbach konnte keinen besseren Ort für ihren spannenden Spionagethriller “Das Haus am Gordon Place” finden. Auch Karina Urbach konnte sich dem Zauber des Films nicht entziehen, spielen doch die Umstände der Dreharbeiten in ihrem Roman eine entscheidende Rolle.
Doch bevor der Roman sich den Ereignissen am Wiener Prater nähert, spielt ein anderer Ort eine bedeutende Rolle. Denn “Das Haus am Gordon Place” steht nicht in Wien, sondern in London. Die Handlung des Romans  beginnt in unserer Zeit und in einer der teuersten Gegenden Londons, wo die Wohnungen 2 Mio Pfund kosten und vielleicht gerade deswegen  einen guten Platz für eine Leiche bieten. Das Opfer findet sich in der Wohnung des Historikers Professor Hunt und stellt sich als sein Nachbar heraus. Der Professor - zunächst verdächtigt, dann entlastet -  wundert sich, dass ihn nicht die Polizei, sondern die Agentin Emma Spencer vom Auslandsgeheimdienst MI6 verhört. Noch größer ist sein Erstaunen, als die Agentin ihn um seine Mitarbeit bittet, denn Hunt wohnt in der Wohnung, die ursprünglich der Agentin Daphne Parson gehörte. Die weiteren Ereignisse zeigen, dass sowohl das Mordopfer, als auch weitere Bewohner des Hauses eine Beziehung zu den Wiener  Ereignissen vom November 1948 haben. Hat der Mord also etwas mit dem Agentenmilieu zu tun? Was ist damals geschehen?


Der Autorin und Professorin für Geschichte Karina Urbach gelingt es, uns das Wien des Jahres 1948 bildhaft und wirkmächtig vors Auge zu führen. Der Kalte Krieg hat begonnen. Die Siegermächte im geteilten Wien beäugen sich mit tiefem Mißtrauen. Die Menschen, die nichts zu beißen haben, verkaufen ihr letztes Hab und Gut und letztlich auch sich selbst, um zu überleben. In eindrücklichen Szenen führt uns Karina Urbach das Elend dieser Tage vor. Aber auch die Spionageabteilungen laufen auf Hochtouren. Der britische Geheimdienst hört in sogenannten Agententunneln den sowjetischen Telefonverkehr ab. Ein Gespräch setzt Daphne Parson unter Schock. Sie erkennt die Stimme eines SS-Offiziers, der sie Jahre zuvor in Griechenland gefoltert hat. Sie muss in den sowjetischen Sektor und Rache nehmen. Da kommt ihr eine Aktion gerade recht, die ihr Vorgesetzter Major Blanning dort plant. Aber wie kommt man ungesehen in den sowjetischen Sektor? Hier kommt nun die oben erwähnte “große Illusion” und damit auch der Film “Der dritte Mann” ins Spiel. Das Filmteam hat die Erlaubnis, am Wiener Prater, der im sowjetischen Sektor liegt, zu drehen. Schnell sind die Einsatzpläne fertig und die “große Illusion” nimmt ihren Lauf.
In immer wiederḱehrenden Zeitsprüngen kehrt der Roman in die Jetztzeit zurück und zeigt Professor Hunt und Emma Spencer, wie ihre komplizierten Recherchen und Gespräche mit Zeitzeugen sie immer näher an die Geheimnisse von damals bringt und letztlich dann auch zur Aufklärung des Mordes führt.
Karina Urbach ist Historikerin. Aber keine, die Geschichtsforschung als Erbsenzählerei betreibt, sondern die Menschen und Ereignisse in lebendiger und spannender und authentischer Form beschreibt.  Die historischen Ereignisse sind gut recherchiert und dargestellt, die handelnden Personen darin lebendig eingearbeitet. Man wird im besten Sinne in die Geschichte hineingezogen und legt den Roman erst weg, wenn die letzte Seite gelesen ist.
“Das Haus am Gordon Place” ist nicht ihr erster Spionageroman.Unter dem Pseudonym Hannah Coler veröffentlichte  sie 2017 den Roman “Cambridge 5 – Zeit der Verräter”, in dem sie die Geschehnisse um einen berühmten sowjetischen Spionagering  literarisch verarbeitet und etliche Preise dafür erhielt. Für ihre neuesten, temporeichen, spannenden und lehrreichen Roman, nun unter eigenem Namen, wäre ihr das auch zu wünschen.