Türkei: 7 köpfige kurdische Familie vermutlich aus rassistischen Gründen ermordet + Update

Türkei: 7 köpfige kurdische Familie vermutlich aus rassistischen Gründen ermordet + Update

Nach einem Bericht der Zeitung Gazete Duvar und des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) wurden heute gegen 7 Uhr Ortszeit in der Stadt Meram (im mittelanatolischen Gouvernement Konya) 7 Mitglieder der Familie Dedeogullari von einem oder mehreren Unbekannten in ihrem Haus erschossen und das Haus anschließend in Brand gesetzt. Das Feuer konnte von der Feuerwehr rasch gelöscht werden.

Die Familie lebte seit 24 Jahren in dem Stadtteil Hasanköy. Nach eigenen Aussagen wurde sie über die letzten 15 Jahre wegen ihrer kurdischen Herkunft angefeindet und mehrfach auch angegriffen. Zuletzt hatte eine Gruppe von ca. 60 Personen am 12. Mai das Haus angegriffen. Dabei wurden die 7 Bewohner*innen schwer und meistens mehrfach verletzt. Ein Mann erlidt eine Hirnblutung, ein weiterer wurde mit einem Messer verletzt. Unter den Verletzten waren auch zwei Frauen. Einer Frau wurde der Arm so gebrochen, dass sie ihre Hand wohl nie wieder richtig gebrauchen kann. Gegenüber der Zeitung BirGün berichtete ein Bewohner, die Angreifer hätten gesagt "wir sind Idealisten". "Idealisten" ist eine Eigenbezeichnung der hierzulande vor allem als "Graue Wölfe" bekannten Jugendorganisation, die der Partei der Nationalistischen Aktivisten (MHP) von Erdogans Koalitionspartner Devlet Bahceli verbunden ist. Der Bewohner sagte der Zeitung außerdem die Angreifer hätten gesagt "wenn die Polizei gerufen wird, wollen wir mal schauen, ob sie Euch hilft." Als die Polizei gekommen sei hätte sie zunächst die angegriffenen Bewohner beschuldigt. Schließlich wurden auf Antrag des Anwaltes der Familie Abdurrahman Karabulut 10 der Familie als Nachbarn bekannte Personen verhaftet, dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt und für die freigelassenen Angreifer (!) Polizeischutz angeordnet. Der Bewohner mit dem die Zeitung sprach berichtete, dass die Angreifer nun täglich vor ihr Haus gingen und sie beschimpfen würden. Sein Name ist unter den Namen der 7 Ermordeten. Niemand von der Familie hat überlebt.

Das Amt des Gouverneurs von Konya erklärte am Abend, es werde nach "vielen Seiten" ermittelt. Die sonst sehr schnellen großen türkischen Medien berichteten zunächst nicht über den siebenfachen Mord. Der Co-Vorsitzende der prokurdischen HDP, Mithat Sancar sagte, eine solche Tat ließe sich nicht durch persönliche Feindschaft, Interesse oder einzelne Wut erklären und vermutete einen systematischen politischen Plan.

jk

Update 1. 8. 21: Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die kurdische Familie, weil sie weitere Angriffe befürchtete, Kameras aufgestellt hatte. Durch die Aufnahmen stellte sich heraus, dass ein Mann Namens Mehmet Altun, die Familie erst im Garten des Hauses versammelte und dann mit mindestens 20 Schüssen ermordete. Bei dem Angreifer Mehmet Altun soll es sich um einen Verwandten einer der beiden Familien handeln, von denen die Opfer vor dem Angriff berichteten, dass sie mit ihnen in besonderem Streit seien. Zugleich sagten sie aber dass bei dem großen Angriff von etwa 60 Personen am 12. Mai auch Menschen waren, die sie vorher nie gesehen hätten und dass sie sich als "Idealisten" (Graue Wölfe) bezeichnet hätten.

 

Vertreter der Regierung werden nicht Müde zu betonen, dass es sich bei dem Mord um einen Streit zwischen zwei Familien gehandelt habe. Die prokurdischen HDP sieht indessen einen rassistischen Hintergrund und beschuldigt Erdogan, dieses Feuer zu schüren. Diese Sicht teilen auch mehrere kleinere linke Parteien und Organisationen wie der Menschenrechtsverein IHD und die Menschenrechtsstiftung und auch die größte Oppositionspartei, die kemalistische CHP sieht es ähnlich, während es mehr rechte Oppositionsparteien vorziehen, sich nicht zu äußern.

 

Manchen ist auch ein seltsames Zusammentreffen aufgefallen: Am 7. Juli wurde Engin Dinc per Erlass des Präsidenten Tayyip Erdogan zum obersten Polizisten im Gouvernement Konya ernannt, zu dem auch die Stadt Meram gehört, in der der Mord an der Familie begangen wurde. Engin Dinc ist kein unbeschriebenes Blatt. Er warb den Studenten Erhan Tuncel an, der zu den beiden Anstiftern des Mordes an dem armenischen Journalisten Hrant Dink im Jahre 2007 gehört haben soll. Erhan Tuncel wurde nach manchem Hin und Her deshalb zu 99 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach einem Anschlag bei dem am 10 Oktober 2015 103 Teilnehmer*innen einer Friedensdemonstration am Bahnhof von Ankara getötet worden waren und 570 Menschen verletzt wurden, stellte sich heraus, dass Engin Dinc Informationen über die beiden IS-Attentäter zu spät weitergegeben hatte. Er wurde dafür nie zur Rechenschaft gezogen und macht wie man sieht weiter Karriere. Nach dem Attentat gingen die Umfragewerte für Erdogans AKP in die Höhe, weil sich verängstigte Wähler*innen um den "starken Mann" scharten.