Polen arbeitet an einem juristischen „Polexit“

Polen arbeitet an einem juristischen „Polexit“

In Warschau will das polnische Verfassungsgericht entscheiden, dass Urteile des Europäischen Gerichtshof künftig nicht mehr unbedingt bindend für Polen seien. Das käme einem Ausstieg Polens aus dem Rechtsgefüge der EU gleich – einem juristischen „Polexit“. Eindrücklich zeigt sich das erneut an dem Urteil vom 2. Juli gegen Josef Iwulski, Präsident der Kammer für Arbeitsrecht am Obersten Gericht in Polen.

Im Fall Iwulski entschied die Justiz, dass dieser seine Immunität verlieren und vom Dienst suspendiert werden solle. Die offizielle Begründung stützt sich dabei auf ein über 39 Jahre zurückliegendes Gerichtsurteil, an dem Iwulski als Jungrichter beteiligt war. 1982 herrschte in Polen Kriegsrecht, das Gericht mit Beisitzer Iwulski verurteilte einen 21 Jahre alten Arbeiter wegen Protesten zu drei Jahren Haft. Der Arbeiter saß allerdings nur kurz im Gefängnis und wurde bei einer Amnestie freigelassen. Iwulski wurde nach Ende des Kommunismus wie alle Juristen überprüft und danach zu einem der führenden Richter Polens.

In Wirklichkeit aber dürfte das Urteil aber mit seiner heutigen Tätigkeit zusammenhängen. Iwulski ist nämlich einer der letzten Vertreter der Reste des Rechtsstaates in Polen. So stellte seine Kammer mehrere Anfragen an den EuGH, wie in Polen übergeordnetes Recht anzuwenden sei. Außerdem entschied er, dass die sogenannten „Neo-Richter“, die von der nationalpopulistischen Regierung Polens ernannt wurde, keine Richter sind, da sie ebenso wenig unabhängig sind wie einige andere neue Justizinstitutionen in Polen.

Eine solche Justizinstitution ist die Disziplinarkammer, eine politisch abhängige Sonderkammer. Und genau diese Kammer hat jetzt im Fall Iwulski das Urteil gefällt. Und das obwohl nach den Entscheidungen noch unabhängiger Richter des Obersten Gerichts zufolge die Disziplinarkammer kein Gericht ist, und dessen Tätigkeit schon im April 2020 vom EuGH verboten wurde.

Doch Polen missachtet die Entscheidungen des EuGH und anderer europäischer Gerichte immer häufiger; und es dürfte sogar noch ärger werden. Am 8. Juli legt in Luxemburg ein Generalanwalt am EuGH seine Schlussanträge zum Thema polnische Richterernennungen vor. Und am 15. Juli dürfte der EuGH einem Antrag der EU-Kommission folgen und Polens Disziplinarregime für Richter umfassend für einen Bruch von EU-Recht erklären. Doch in Warschau will das politisch kontrollierte Verfassungsgericht entscheiden, dass Urteile des EuGH nicht unbedingt bindend seien - faktisch wäre das der juristische „Polexit“.