"Sie werden uns nie die Straßen nehmen können": Demonstration gegen Räumung von Exarchia angekündigt

Am 5. Dezember ist in Exarchia, ein Stadtviertel in Athen, eine Demonstration geplant gegen die von der Regierung angesetzte Deadline zur Räumung der besetzten Häuser. Bis zu diesem Datum müssen die besetzten Häuser geräumt sein, sonst würden sie mit Gewalt geräumt. Wir sprachen mit einem Aktivisten aus Exarchia darüber was dort am Wochenende passiert, über Hintergründe zum staatlichen Vorgehen und wieso und wie sich Exarchia verteidigen wird.

Demonstration gegen Räumung von Exarchia angekündigt

Exarchia_square_Athens.jpg

Ein Platz in Exarchia
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Wikimedia: Badseed


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Aktivist: Sie haben den Leuten 50 Tage gegeben, um die besetzten Häuser zu verlassen. Danach werden sie Gewalt anwenden und die Menschen, die sie vorfinden festnehmen. Sie sind aber auch schon in besetzte Häuser eingedrungen und haben Leute festgenommen und Beweise selber gepflanzt. Sie sprachen auch von Waffen in den Häusern, haben aber nichts gefunden.

RDL: Die offizielle Darstellung ist, dass einige Besetzungen in den letzten Monaten geräumt wurden, weil dort angeblich Molotov Cocktails hergestellt werden würden, aber einige Besetzungen die geräumt wurden, waren auch von Geflüchteten. Wie viele Besetzungen sind nach den vergangenen Räumungen eigentlich noch übrig?

Aktivist: Es sind viele, wirklich viele. Ich habe keine genaue Zahl, jetzt gerade sind mindestens fünf Besetzungen noch in Exarchia aktiv, aber ich glaube, es sind noch mehr.

RDL: Wir hatten es gerade von den Räumungen der Besetzungen der Geflüchteten. Sie werden von der Polizei in Lager gebracht, gibt es eine Hoffnung für diese Leute wie sie da wieder rauskommen und wie sie wieder zurückkommen in diese solidarischen Strukturen?

Aktivist: Die Bewegung, welche die Migrant*innen in Griechenland schon haben ist wirklich interessant und wirklich schön. Es sind viele Leute, die politisch sind, sie wissen, wer sie sind und wissen, warum sie hier sind. Sie lieben ihre Heimat, sie haben sich nicht dafür entschieden nach Griechenland zu kommen.

Die Nato kam zu ihnen und Griechenland ist Teil der Nato und hat ihre Häuser gebombt und ihre Brüder getötet, deswegen können sie dort nicht mehr leben und das wissen sie. Sie sind alle zusammen, sie machen Entscheidungen gemeinsam und treffen sich gemeinsam. Jede Besetzung, auch wenn sie vielleicht von den Anarchist*innen gestartet wurde, werden aber dann von den Migrant*innen selber gemacht.

Die Migrant*innen sind diejenigen, welche die letzten Entscheidungen treffen. Sie organisieren alles, zum Beispiel Soli-Partys um Geld für Elektrizität und alles zu besorgen.

Wenn die Besetzungen geräumt werden, dann nimmt die Polizei die Leute aus Athen beiseite, und trennt sie voneinander und lässt die Migrant*innen irgendwo außerhalb, im nichts. Es gibt einige Gruppen, die wurden irgendwo auf dem Land gelassen.

Sie lassen sie an verschiedenen Orten, sie wollen nicht das sie zusammen sind und sich organisieren können. Das ist das was sie im ersten Moment versuchen zu machen, sie versuchen Athen zu reinigen von der, ich nenne es mal "Nicht Schönheit".

RDL: Was können wir von der Demonstration erwarten? Wer ruft dazu auf und ist irgendwas geplant?

Aktivist: Also, ich glaube bisher gibt es keinen Plan zwischen uns. Wir hoffen aber. Wir stehen für was wir haben und tun unser bestes. Wir wissen, das, selbst wenn sie alles Räumen, können sie uns nicht stoppen. Dieser Moment ist sehr groß in unserer Geschichte, weil alles darauf hin ausgerichtet war. Alles wurde die letzten 20 Jahre aufgebaut, um Solidarität zu zeigen durch Leute, die sich es nicht leisten können zu überleben. Es gab Gebäude die nicht benutzt wurden, ein Problem das ihr in Freiburg auch habt, wie ich gehört habe.

Es gibt zu viele Leute die keine Bleibe haben, aber es gibt so viele leere Orte. Orte an denen Drogen waren, die Leer waren, die Zerfallen waren. Da sind Menschen rein und haben Orte geschaffen, um sich auszudrücken, in denen man Musik, Theater und Kunst machen konnte und auch Unterricht für Kinder gemacht wurde und wo man leben konnte. Als die Geflüchteten kamen, wurden viele dieser Orte um Solidarität auszudrücken zu Unterkünfte gemacht, wo sie ihre ersten Schritte in ihrem neuen Leben machen konnten.

In diesem Moment sind diese Orte Ziele, viele der besetzten Häuser waren Eigentum, auch von der Universität. Aber sie wurden nicht benutzt. Die Universitäten sollen jetzt verkauft werden, sie wollen die ganzen Häuser nehmen und an Unternehmen verkaufen. Sie wollen die ganzen Häuser nutzen, um Geld zu verdienen. Deswegen haben sie als erstes einiges von der Universität geräumt, da geht es nicht darum das es für die Studierenden gut wäre, sondern darum Geld zu machen.

RDL: Also ist die Universität auch zum Teil besetzt?

Aktivist: Es gab das Universitätsasyl, also war es frei sich dort auszudrücken. Du konntest deine eigene autonome Bewegung machen und dir Raum nehmen und Sachen vorbereiten. Das war gesetzlich vorgesehen. Du konntest es für politische und kulturelle Gründe nutzen.

Aber das Asyl wurde jetzt abgeschafft, diesen Sommer in den ersten Tagen der neuen Regierung (von Nea Dimokatia), aber jeder war im Urlaub, also gab es keine Reaktion von der Bewegung. Die Leute sind im Oktober aufgewacht, nach den Examen dieses Semester, weißt du? Und die Regierung hat ihre schlimmste Seite gezeigt. Die Polizei ist rein in die Universitäten und hat Leute verschlagen die über Politik geredet haben, natürlich hauptsächlich Linke. Die Regierungskinder bleiben unbehelligt, sie erweitern die Korruption, sie Verkaufen die Examen damit du bestehen kannst, es ist eine gefälschte Qualifikation.

RDL: Die Regierung hat verkündet, dass die Räumungen durchgeführt werden da die Besetzungen illegal sind und sie das Recht durchsetzen möchten. Sie wollen zeigen das sie und die Polizei in der Lage sind Gesetz und Ordnung zu gewährleisten. Du sagst aber, dass diese Räumungen auch aufgrund von Geschäftsinteressen durchgeführt werden?

Aktivist: Es hat alles angefangen mit der Krise die 2008 bis 2010 angefangen hat, wir hatten die Finanzkrise 2010, so das am Anfang die Staatsausgaben reduziert wurden, Gelder gingen in den stagnierenden Markt und gleichzeitig wurden die Steuern erhöht. Das zerstörte die untere und mittlere Klasse unserer Gesellschaft und gleichzeitig gab es keine Sozialhilfe für die ärmeren Menschen.

Das war eine extern ausgelöste Krise, keine interne Krise. Das hat die Solidarität in unserer Gesellschaft zerstört, die Leute waren schon immer Arm, sie wussten, wie man zusammen arbeitet. Aber danach haben die Leute angefangen sich mehr individualistisch zu verhalten und haben angefangen zu sagen, Ich muss mich um meine Familie kümmern, meine Familie Schützen. Ich habe die Gewalt draußen gesehen, weil die Leute gesagt haben Ich habe kein Geld, aber ich muss meine Familie verteidigen. Diese Leute haben nicht zusammen gekämpft, sie haben für sich selbst gekämpft.

Schritt für Schritt gab es immer größere Gebiete, wo es keine Lichter in den Straßen gab, die Polizei hat Drogen in diese Viertel gezwungen und so kam es zur Degeneration dieser Gebiete auch im Zentrum von Athen.

Zu dieser Zeit, von 2008 bis 2010 wurden richtig große Gebäude verkauft, an Leute, die zum Beispiel Teil der Regierung sind, diese Leute haben von dem Zustand der Viertel profitiert. Sie haben die Nachbarschaften runtergewirtschaftet und danach die Häuser für ein Zehntel ihres Wertes gekauft, zum Beispiel in Exarchia, welches im Zentrum von Athen liegt.

Es sind Räume wo auch Geflüchtete blieben, jetzt räumen sie diese. Sie reinigten die Straßen wie mit einem Staubsauger, sie haben die Migrant*innen genommen, obwohl sie Papiere hatten - Wir haben keine Demokratie, wir haben keine Gesetze - Das Gesetz ist nur für den Staat. Und sie haben die Geflüchteten in Konzentrationslager gebracht, damit die Gesellschaft sie vergisst. So gab es keine Lichter auf der Straße und sie haben die Gewalt auf die Straße gebracht. Also kannst du dort nicht leben, sie waren für Wochen auf den Straßen, also konnten andere Leute dort nicht leben.

Einige Menschen haben nach der Polizei gefragt, das sie sich kümmern soll um die Drogenhändler, aber nichts ist passiert.

Und Schritt für Schritt haben die Reichen mehr Grundstücke gekauft. Das hat um 2015 aufgehört, lass uns sagen als die linke Regierung Syriza, die nicht links war, die Regierung übernommen hat, aber 2017 verstärkte es sich wieder.

2013 gab es ein abkommen, da geht es mehr um Griechenland, das wird "Goldenes Visa" genannt. Es sagt, das jeder, der mehr als 250 000 € in ein europäisches Land bringt, kann ein Visum bekommen, das man frei bleiben kann in irgend einem Land im Schengengebiet und Geschäfte betreiben. Ab 2001 war der Markt in Athen zu niedrig und es gab dann schon neue Profite von Europäern, die dort gearbeitet haben. Es kamen neue Leute, die auch Häfen an China gegeben haben und versucht haben den Markt zu öffnen. 2017 gab es ein Aufschwung im Immobilienmarkt, 91 % anstieg in den Kaufpreisen für Häuser in Athen. Das Jahr darauf nochmal 41 % Anstieg.

Das hat zu tun mit dem AirBnB spiel das gespielt wird, weil zu dieser Zeit stiegen die Mieten und ich konnte mir meine Wohnung nicht leisten, jetzt schon. Also das ergibt kein Sinn, wenn die Leute sich die Mieten eh schon nicht leisten können. Große Grundstücke waren schon gekauft und viele wurden renoviert. Aber viele wurden dann nicht pro Monat vermietet, sondern täglich.

Und am Anfang haben die Leute gedacht, das ist gut für mich selber, weil ich zwei Grundstücke habe. Und in dem einen haben sie eine Familie, die sie dann rauswerfen und vermieten das an Touristen, die es sich leisten können. Bisher war es z. B. 200 € Miete und dann wurden es 600 € für die Touristen, also geht die Monatsmiete von 200 € auf 600 € und so steigen die Mieten in Athen und die Leute ziehen dann raus aus dem Stadtzentrum.

RDL: Gab es wirklich genug Touristen um dieses Angebot so attraktiv zu machen? Also die wirklich soviel gezahlt haben?

Aktivist: Ah, also das ist etwas, was Schritt für Schritt passiert auf einer internationalen Ebene. Es hat auch mit den Medien zu tun, aber wie ich mich auch erinnere, von dem Jahr an, 2017, gab es eine internationale Werbekampagne für Griechenland über die "Schönheit von Griechenland". Und was auch spannend ist, ist das ja nicht nur Grundstücke in Athen verkauft wurden, sondern auch Inseln, ganze Inseln die an große Firmen verschenkt wurden. Wenn du als Individuum kommst, als Amerikaner zum Beispiel, kannst du große Grundstücke kaufen, aber als Firma kriegst du sie geschenkt.

RDL: Das ist alles passiert und in Exarchia gab es diese Besetzungsbewegung, welche natürlich sich schon viel früher formierte, aber die auf die ganzen Entwicklungen auch reagierte, was ist genau dieses Projekt von Exarchia?

Aktivist: Exarchia ist ein Ort im Zentrum von Athen. Dort ist eine der wichtigsten Universitäten in Griechenland gegründet worden. Die Gegend war also immer voller Künstlerinnen, voller Linken, voller Kommunist*inneen, voller Anarchist*innen, voller frei denkenden Menschen im Allgemeinen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es ein Bürgerkrieg und Exarchia war im Mittelpunkt dieses Bürgerkriegs. Die Kommunist*innen sind dort hingegangen und haben ihre Kanonen dort gebaut in einem ersten Gebäude, welches das "blaue Gebäude" genannt wurde. Es hat immer noch dieselbe Farbe. Sie haben angefangen gegen die Engländer (welche im Bürgerkrieg die Regierungstruppen gegen die kommunistische Partei unterstützt haben) zu kämpfen, also nimmt das vom ersten Moment eine revolutionären kämpferischen Charakter an. Die Leute, die in Exarchia leben sind also schon Teil der Bewegung, sie haben sich dafür Entschieden dort zu wohnen. Das geht so weiter und weiter und in 1973, da war die Revolution gegen die Militärdiktatur, die wir hatten, war Exarchia im Mittelpunkt. Das liegt daran, dass die Universität dort war, und die Studierenden, die auf den Straßen gestreikt haben, waren dort. Also waren die Leute, die gestorben sind im Kampf gegen die Diktatur, auch dort. Sie sind überall gestorben, aber die meisten sind dort gestorben.

Danach, in 2008, als Alexandros Grigoropoulos erschossen wurde, waren die Kämpfe in Exarchia. Exarchia war ein Ort wie immer, die Leute, die Bewohner von Exarchia, bekamen und gaben Solidarität. Wenn du jetzt hingehst und es ist eine große Demonstration und die Polizei fängt an Leute auf der Straße zu schlagen, öffnen die Leute ihre Gebäude, ihre Häuser, und holen die Protestierenden rein um sie zu beschützen. Das ist es, es ist nicht so das wir ein Ort nicht woanders schaffen können, aber hier sind wir schon, alle hier denken so.

Das ist der Grund, warum Exarchia ein Ort ist, an dem viele Besetzungen von Anfang an passiert sind. Weil auch die Anwohner solidarisch waren mit diesen Projekten. Es waren die Anwohner*innen, die zu den Orten gekommen sind und sie aufgebaut haben. Es ist immer die Regierung, die Drogendealer auf den Platz von Exarchia bringt. Nachdem das Viertel ein revolutionäres Profil bekam, haben sie versucht es zu zerstören.

Sie haben nie die bösen Menschen weggenommen, jetzt, wenn die Polizei Leute schlägt, geht sie an den Dealern vorbei, sie ignorieren diese. Die Drogendealer werden nie gestört niemand fasst sie an. Nachdem sie die Anarchist*innen nehmen, tun sie sie ins Gefängnis und eine halbe Stunde nachdem ein Riot war, werden wieder Drogen gedealt.

Es gab also immer ein Problem, wie dieses Ghetto vor der Polizei geschützt werden kann und wir haben es immer geschützt mit unseren eigenen Körpern vor den Schusswaffen der Drogendealer. Es gab immer Probleme, zum Beispiel mit der Zivilpolizei die Probleme verursacht hat, die Leute geschlagen hat und andere Sachen angestellt hat, aber sie sind nie durchgekommen. Wir hatten viele schwierige Zeiten.

Also sage ich nicht das wir Erwartungen an den 5. Dezember haben. Wir wissen es, wir sind dort, wir leben das hier. Exarchia ist ein Ort voller dieser Leute, auch wenn sie die Besetzungen Räumen machen wir neue auf.

RDL: Das ist also die Perspektive, zu verteidigen was über viele Jahre etabliert wurde. Du erwartest also, dass egal wie stark die Polizei vorgehen wird, das danach immer noch...

Aktivist: Wir haben immer noch die Straßen, sie werden uns nie die Straßen nehmen können. Wir werden immer noch dort Musik machen, immer noch dort über unsere Träume reden und dort unsere Schulen machen, selbst auf den Straßen, weißt du?


Weitere Einschätzungen und etwas Kontext zum Kampf um ein autonomes und solidarisches Stadtviertel für alle in Exarchia findet ihr in unserem Beitrag zur Räumungsdrohung gegen Exarchia vom 27.11.2019.