Konflikte in der "Szene" (auch im Radio) rund um Nahost und Antisemitismus: Wenn Worte zu Waffen werden

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Wenn Worte zu Waffen werden

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Eine Antwort auf den Kommentar "Szeneputzen".

 

Letzte Woche hat eine Kollegin von Radio Dreyeckland einen Kommentar mit dem Titel „Szeneputzen“ veröffentlicht. Es ging um den verfahrenen Umgang mit dem Gaza-Krieg und die Ausgrenzung von Andersdenkenden. Da kam viel Unmut endlich mal zur Sprache. Teilweise habe auch ich mich darin wiedergefunden. Trotzdem möchte ich auch noch ein paar andere Gesichtspunkte ansprechen. Und auch etwas darüber hinaus gehen.

               Was in dem Kommentar fehlt ist der Begriff Antisemitismus. Das wurde auch von jemandem aus der ADW in einem Brief an Mitarbeiter*innen von Radio Dreyeckland kritisiert. Ich habe keine Schwierigkeiten damit, wenn Menschen wegen antisemitischer Äußerungen ausgeladen werden. Das wird in dem Kommentar ein wenig zu harmlos dargestellt. Nur weil sie mal bei BDS unterschrieben haben… So einfach ist das nicht.

               Es gibt die Parole „Free Palestine from German guilt!“ Soll heißen, Israel werde auf kosten der Palästinenser*innen unterstützt, nur weil die Deutschen einen Schuldkomplex haben. Die Befangenheit gibt es aber sie wirkt in beide Richtungen. Sie kann zu kritikloser Verteidigung Israels führen. Aber es gibt oft auch einen unterschwelligen Hass deswegen. Gerne wird versucht,  Jüdinnen und Juden oder wenigstens Israel auf die gleiche Stufe zu stellen wie die Nazis.

               Die Parole „Free Palestine from German guilt!” ist heimtückisch, weil sie unterstellt, dass es heute nichtmehr um Antisemitismus geht und schon gar nicht auf palästinensischer Seite. Ich empfehle da nur mal die Lektüre der Charta der Hamas. Auch wenn Jüdinnen und Juden überall auf der Welt für die Politik des Staates Israel verantwortlich gemacht werden, zum Teil auch tätlich angegriffen werden, dann geht es nicht mehr um dieses oder jenes in Palästina, sondern dann wird Jüdischsein an sich zur Zielscheibe und das ist nun mal Antisemitismus. Da muss man nicht bis zum NS zurückgehen. 1994 starben bei einem Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Buenos Aires 85 Menschen und 300 wurden verletzt. Auf die Synagoge Neve Shalom in Istanbul wurden insgesamt drei Bombenanschläge verübt, bei denen 49 Menschen starben, der letzte war 2003. Was hatte das alles mit der Befreiung Palästinas zu tun? Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen, auch in Deutschland. Mörderischer Antisemitismus ist nichts, was es nur mal bei den Nazis gab und weswegen die Deutschen nun mal ein schlechtes Gewissen haben. Wenn sie es haben.

               Der Gaza-Krieg begann mit einer unvorstellbaren antisemitischen Mordorgie der Hamas. Diese Massaker, die Geiselnahmen und wie kalt darauf reagiert wurde, hat viele erschüttert und war auch maßgeblich dafür, welche Themen im Radio aufgegriffen wurden und mit wem man nicht sprach. Dabei funktioniert das Radio ja so, dass die Interessen der Redakteur*innen weitgehend dafür ausschlaggebend sind, was aufgegriffen wird und was nicht. Bindend sind allerdings die Statuten, die unter anderem auch Antisemitismus im Radio ausschließen.

               Nun ist seit dem 7. Oktober vieles geschehen. Sicher gibt es auch weiter ungerechte Vorwürfe gegen die israelische Armee, aber mehr und mehr auch berechtigte. Wenn versehentlich sogar israelische Geiseln erschossen werden, dann muss man sich schon fragen, wie viele unbeteiligte Zivilisten sonst noch gestorben sind. Ich habe keine Schwierigkeiten damit, wenn die israelische Armee die Hamas jagt und klar ist auch, dass die Hamas kein Interesse daran hat, das Leiden der Palästinenser*innen zu beenden. Das ist schließlich die Geschäftsgrundlage ihres Unternehmens. Trotzdem entlässt das die israelische Armee und Regierung nicht aus ihrer Verantwortung gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung. Und da gibt es dann noch die schleichende Okkupation des Westjordanlandes seit bald 60 Jahren. Die Palästinenser*innen bzw. ihre jeweiligen politischen Exponenten haben sicher auch Schuld daran, dass es nie zu einer Lösung gekommen ist, trotzdem kann Israel nicht weiter so tun, als seien 6 Mio. Palästinenser*innen nur ein Sicherheitsproblem Israels.

               Das alles kam im Radio in den letzten Monaten zu kurz, fehlte aber auch nicht ganz.

               Ich möchte noch gerne eine andere Ebene des Konflikts ansprechen, die zu kurz kommt, nämlich die politische Ebene. Dass Netanyahu den Krieg fortsetzen muss, weil er als Mister Security gescheitert ist und nach einem Krieg, insbesondere wenn dieser ohne klares Ergebnis endet, die Aufrechnung mit ihm käme, ist ziemlich klar. Ich fürchte, er opfert damit auch das Leben der Geiseln.

               Auf der anderen Seite wird mit dem Leid der Palästinenser*innen und der Dämonisierung Israels seit langem Politik gemacht. „Morg barā-je esrā‘el“ „Tod für Israel!“ ist seit 45 Jahren der Schlachtruf der Islamischen Republik Iran. Ein Regime, das sich immer wieder im eigenen Lande gewaltsam durchsetzen muss, wo Frauen wegen eines Verstoßes gegen die Kleiderordnung zu Tode geprügelt werden.

               Einerseits lenkt der täglich geschürte Hass auf Israel von Problemen im eigenen Land ab, andererseits kann man konkurrierende Staaten in der Region, insbesondere Saudi Arabien und Ägypten damit propagandistisch überrunden. Es war anfangs sehr gut erkennbar, dass die großenteils staatlich beeinflussten Medien in den einzelnen Ländern ganz unterschiedlich auf das Massaker am 7. Oktober und den Beginn des Gaza-Krieges reagierten.

               Nun reibt man sich die Hände in Teheran, in Ankara, in Katar, wo übrigens auch die Hamas-Führung sicher sitzt. Und sicher freut man sich auch in Moskau und Peking, dass Biden beim Palästina-Konflikt politisch in der Falle sitzt. Er kann Israel kaum fallen lassen und damit auch nicht Netanyahu und andererseits schadet ihm dessen Politik außen- wie innenpolitisch enorm.

               Diese politischen Dimensionen kommen einfach zu kurz. Es geht immer nur um Schuld und Unschuld und schnell muss etwas geschehen. Und viel mehr als bei anderen Konflikten werden Zwischentöne nicht mehr akzeptiert. Das Wort ist immer Unterstützungshandlung, ist immer auch Waffe. Reden wird unmöglich, soll unmöglich sein. Eine Rede über systematische sexuelle Gewalt der Hamas am 7. Oktober durfte auf der Frauendemo am 8. März nicht gehalten werden. Andererseits kommen im Radio mit wenigen Ausnahmen, nur Stimmen zu Wort, die entweder den Standpunkt der israelischen Regierung vertreten oder Antisemitismus thematisieren. Letzteres finde ich zwar dringend nötig, aber eine gewisse Einseitigkeit entsteht auch dadurch.

               Kommen wir endlich auf den Kommentar bei Radio Dreyeckland zurück. Der Titel „Szeneputzen“ kann als schwerer Vorwurf verstanden werden und bestimmt die Richtung des Kommentars. Das anderes einfach weggeputzt wird, den Eindruck kann man wirklich haben aber das betrifft nicht nur eine Seite. Die ganze Auseinandersetzung – fast hätte ich Debatte gesagt, doch das ist es nicht – die ganze Auseinandersetzung krankt daran, dass immer zunächst geschaut wird, wem das jetzt hilft, was dann aufgrund eindeutiger Schuldzuweisungen eingeordnet wird. Ob etwa Israel einen Verteidigungskrieg führt oder zumindest anfangs geführt hat, muss man nicht übernehmen, aber was schadet es, wenn das jemand öffentlich vertritt? Was wohl der oder einer der Ausschließungsgründe eines Redebeitrags war. Hat man so wenig Zutrauen in das Urteil der Zuhörenden, dass da jeder falsche Eindruck vermieden werden muss? Keine Angst, Meinungen sind nicht leichte Schneeflocken, sondern schwere Flusskiesel. Und nicht selten sind sie auch noch einbetoniert.

Vielleicht sollte sich die Szene, was immer ihr darunter verstehen wollt, mal vier Wochen lang erlauben, dass alles gesagt werden darf, Verteidigung Israels ebenso wie die Verteidigung der Rechte der Palästinenser*innen, nur antisemitische Äußerungen sollte es nicht geben. Wir würden ja auch keine rassistischen Äußerungen wollen.

jan

PS: Was in dem Kommentar nicht so richtig rauskam, der Palästina-Konflikt funktioniert auch sehr gut als Ablenkung, sei es wenn es um die Gefahren geht, die von der Nutzung fossiler Energieträger ausgehen, sei es was die Unterdrückung in anderen Ländern angeht, sei es Russlands von Iran unterstützter Eroberungskrieg in der Ukraine. Das entlässt die Kontrahenten vor Ort nicht aus ihrer Verantwortung, aber es spielt eine Rolle.