Freistunde vom 3.3.24: AVATAR 2

AVATAR 2

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in der Freitunde vom 3.3.2024 geht es um den 2. Teil des Film Avatar

Anmerkung der Redaktion: Der Film Avatar wird von indigenen Organisationen stark krititsiert:

Hier ein ergänzendes Papier dazu, dass uns freundlicherweise von der Filmredaktion des AKA Filmclub zur Verfügung gestellt wurde:

Triggerwarnung! Enthält rassistische Terminologie, koloniale Stereotype und Gewalt

“Ihr habt unser Land gestohlen, dann unsere Kinder und dann unsere Haut“   Zur Kritik an den Avatar Filmen

 

“Join Natives & other Indigenous groups around the world in boycotting this horrible & racist film.” So rief die queere Navajo Künstlerin Yuè Begay Ende letzten Jahres in einem Tweet zum Boykott dieses „schrecklichen und rassistischen Films“ auf. Die Kampagne mit über 40.000 Follower*innen und mehrere Millonen Klicks startete bereits 2009 nach dem ersten Avatar Teil. Begay kritisiert, daß die Kulturen von Native Americans hier „auf nachteilige Weise angeeignet wurden, um den Retterkomplex eines weißen Mannes zu befriedigen.”
Laut Bron Taylor, Professor für Religion und Natur an der Universität von Florida, erzähle der Film „eine wahre Geschichte darüber, wie sich imperiale Kulturen auf der ganzen Welt ausgebreitet [...] und überall dort, wo sie sich durchsetzten, die einheimischen Gesellschaften und die biologische Vielfalt zerstört haben". Das kann mensch zwar durchaus positiv werten, ob Cameron jedoch mit seinen Filmen das Schema Europa-beutet-den-Rest-der-Welt-aus kritisiert oder gar durchbricht und eben genügend dekonstruiert, sei einmal dahingestellt. Denn, das kritisiert Pawnee Anwalt Brett Chapman: Er mache diese massentauglichen, weichgespülten und „weißgewaschenen“ Feel-Good-Movies ja nicht, um „antiimperialistische und antikoloniale Themen zu erforschen“, sondern schlichtweg „um Geld zu machen“. Außerdem könne der Film dazu beitragen, einen falschen Eindruck der Geschichte von Natives in Nordamerika zu festigen. Damit steht Avatar natürlich nicht alleine da. Vielmehr folgt er einer langen Tradition oftmals unbewußter rassistischer Darstellung von BIPoC1 Personen in der Filmbranche. Obwohl der white gaze2 in Filmen normalisiert ist, stößt es uns bei Avatar vielleicht deswegen besonders auf, weil Regisseur James Cameron die Handlung des ersten Films als eine „Science-Fiction-Neuinterpretation der europäischen Kolonisierung der Amerikas“ bezeichnet. Er hätte viel Zeit bei der Indigenen Bevölkerung im Amazonas verbracht und ihren Kampf gegen das Wasserkraftwerk Belo Monte unterstützt. Der Fall endete mit einer Umsiedlung der lokalen Bevölkerung. Das hätte ihm zu denken gegeben, sagte Cameron damals dem Guardian. Also sei die Geschichte der Native Americans sein Hauptantrieb, das Skript für “Avatar” 2009 zu schreiben. Europa stehe „für die Erde im Film“; die Native Americans, First Nations und Aborigines seien die fiktiven Indigenen3 Na'vi. Alles andere als subtil, gibt Cameron offen zu. Von einer Auseinandersetzung mit der brutalen Kolonialzeit in Great Turtle Island4 und Abya Yala5, einem Genozid an geschätzten mehreren Millionen Menschen, was damals etwa 80 bis 90% der Bevölkerung des Doppelkontinents ausmachte, erwarten wir aber – gerade auch weil der Regisseur die aktuellen Kämpfe und Debatten auf dem Schirm hat – mehr als nur seichte Unterhaltung in 3D.
Avatar wurde eingangs schon für die Reproduktion dessen kritisiert, was Kinobesucher*innen und Kritiker*innen "Weißer Retter"6 (White Saviour) nennen: Bekanntermaßenwird im Film der weiße Jake Sully, der mit den Kolonisator*innen nach Pandora kommt um die lokale Bevölkerung zu infiltrieren, in einen Avatar verwandelt und hilft später den Indigenen Na'vi beim Sieg über die Eindringlinge von der Erde. Alleine – das suggeriert der Film – hätten sie das nicht geschafft. Dabei ist Indigener Widerstand gegen weiße Siedler*innen in den Amerikas gut dokumentiert und hält bis heute an. Mensch kann sich dazu die aktuellen Land Back Kämpfe im sogenannten Kanada und den heutigen USA ansehen. Und allein der Wikipediaeintrag zu den sogenannten „Indianerkriegen“ zwischen 1783 und 1867 ist mehrere Dutzend Seiten lang und knapp 175.000 Zeichen stark. Die Namen Sitting Bull und Geronimo dürften Euch im Übrigen auch geläufig sein. Und diese Informationen sind für alle zugänglich, die ein Endgerät und eine Suchmaschine bedienen können.

Aneignung oder Kunstfreiheit?

Der Anwalt Brett Chapman zeigt auf, wie der Film tribal Tattoos, Dreadlocks und Elemente von Krieger*innen und Kriegern aneignet um die Na’vi zu portraitieren. “They’re taking all these tropes with the white gaze, putting it in outer space, making them blue and not human,” Chapman said. “But Native people are real-life people here on Earth.”

Dagegen wirkt Camerons Aussage: "Ich mag Blau einfach. Es ist eine schöne Farbe" 2010 einfältig und naiv. Er hätte sich von hinduistischen Gottheiten,wie Kali, Vishnu, Krishna und Rama, deren menschlichen Erscheinungsformen mit blauer Haut abgebildet werden inspirieren lassen weil er das "einfach konzeptionell“ möge. Die vom Himmel herabgestiegenen Gottheiten in menschlicher oder tierischer Gestalt seien Avatare, erklärt Cameron: "In diesem Film bedeutet das, dass die menschliche Technologie in der Zukunft in der Lage ist, die Intelligenz eines Menschen in einen entfernten, biologischen Körper zu injizieren".

Ist das künstlerische Inspiration oder kulturelle Aneignung durch einen weißen Mann, der seine Indigenen Rollen mit weißen Schauspieler*innen besetzt? Cameron weiß um den strukturellen Rassismus, der bis heute traurige Wirklichkeit ist. Er hat in Interviews die prekären Bedingungen angesprochen, unter denen viele Indigene bis heute leben müssen, über die schwindelerregend hohe Suizidrate unter Kindern und Jugendlichen. Eigentlich müßte er es besser wissen, könnten wir annehmen.
Aber Indigene Gesellschaften seien für ihn wie er selbst angibt eine „der größten Inspirationen“ und offenbar kein Thema, mit dem er sich fundiert und gründlich auseinandersetzt. "Es gibt pantheistische Themen [wie das Ökosystem von Pandora], bei denen die gesamte Welt als zutiefst miteinander verbunden und sogar als göttlich wahrgenommen wird", sagt Taylor. Die Beziehungen zwischen den Na'vi und Pandora sind "von Gegenseitigkeit - nicht nur von Ausbeutungsabsicht - und Gefühlen der Empathie, […] geprägt“. Und was hier wiederum greift – ob nun bewußt oder unbewußt – ist der Mechanismus des „othering“, des Andersmachen rassifizierter Menschen. Es ist deshalb für Schwarze Menschen, People of Color und insbesondere Indigene so verletzend diesen Film zu sehen, weil sie als stereotypisiertes „primitives Naturvolk“ dargestellt werden, im krassen Gegensatz zu der technologisch hoch entwickelten und sogenannten „zivilisierten“ Welt der Invasor*innen. Damit negiert Cameron die existenziellen Probleme und die strukturelle Benachteilung, denen Indigene Communities heute noch ausgeliefert sind und vermittelt ein völlig falsches Bild von Menschen, deren Kultur als Karnevalskostüm verkauft und als Märchen abgetan wird.

Gut gemeint als Gegenteil von gut gemacht?

Das Thema ist ambivalent. Denn einige betroffen Aktivisti* können selbst diesen Dingen etwas Positives abgewinnen: die Neugierde auf eine fremde Kultur. Aber ist es vielleicht eine Neugierde aus den falschen Gründen? Exotismus nennt sich die Art des Rassismus, bei dem einer Gruppe Menschen gewisse (positive) Eigenschaften allein aufgrund ihrer (vermeintlichen) ethnischen Zugehörigkeit zugeschrieben werden. Othering at its best. Der/die Berliner Filmemacher*in Red Haircrow gab ihrem 2018 erschienen Dokumentarfilm Forget Winnetou! nicht umsonst den Untertitel Loving the Wrong Way.
Weiter im Text. Cameron gab an, einen Linguisten mit der Entwicklung der Na'vi-Sprache Sprache beauftragt zu haben, die ihre „Wurzeln bei den Maori, Afrikanern und amerikanischen Natives“ hat. Welche der tausenden verschiedenen Natives, First Nations, Indigenen und Aborigines auf einem riesigen Doppelkontinent für den Schinken Modell stehen mußten, wird nicht spezifiziert. Auch der afrikanische Kontinent und seine heterogene Bevölkerung, eine enorme Kultur- und Sprachenvielfalt wird als scheinbar homogene Vorlage für feuchte Träume der Kolonialherren mißbraucht. Hier werden ganze Kontinente und ihre Bevölkerung auf einen „Typ“ reduziert. Wir erinnern uns an den ebenfalls problematischen Disneyfilm Pocahontas, in dem eine Figur mit vermeintlich historischem Vorbild erschaffen wird, die als Indigene Frau mit knapper sexy Bekleidung und tollen Kurven allein Lustobjekt für den weißen „Eroberer“ sein soll. Die Objektifizierung, Erotisierung und Exotisierung rassifizierter Menschen. Modell standen hier eine asiatische, eine Latinx und eine weiße Frau. Ups. Wer fehlt in der Reihe?

Seit 1492 kommt es zu brutalen Genoziden von Seiten der Aggressor*innen aus Europa, der sich unter neuem Namen bis in die heutige Zeit fortsetzt. Rassistische Morde durch die Polizei sind in Nordamerika an der Tagesordnung (Indigenous Lives Matter), die Indigene Bevölkerung lebt in Armut, in kontaminierten Gebieten ohne Sanitäranlagen, fließendes Wasser oder Heizung. Sie muß mit intergenerationellen Traumata klarkommen und ist in der Schule, im Job und auf der Straße ständiger Diskriminierung ausgesetzt. Zu der physischen Gewalt und der Vertreibung durch weiße Siedler*innen kam in jüngerer Vergangenheit der kulturelle Genozid von Kirche und Mission in Internatsschulen, auf denen Kinder brutal assimiliert wurden. Eine Geschichte der Verluste, die nicht für Blockbuster ausgeschlachtet werden soll, sagen viele.

Cameron rassistische Rhetorik gipfelte in der hochproblematischen Aussage „die Sioux Nation einschließlich der Lakota“ „hätten sich nicht genug gewehrt“ und seien damit „selbst schuld“ an Landraub, Genozid und Vertreibung. Das ist Victim-Blaming. Den Opfern wird selbst die Schuld gegeben. Außerdem eine Romantisierung Indigener Bräuche und Traditionen, bei denen er, der weiße Eindringling Cameron, sich ohne zu fragen bedient, obwohl sie ihm nicht gehören. Auch die Entscheidung, weiße Schauspieler*innen für Indigene Rollen zu besetzen bestärkte Aktivisti* verschiedener Nationen, 2022 zum Boykott des neuen Films aufzurufen. Sie nennen das “blueface,” (sich blau anmalen) nach der Tradition der rassistischen Performancepraxis des “redface, blackface, yellowface7”. Kritik daran ist nötig und muß gehört werden. So schrieb die Aktivistin Yuè in einem offenen Brief an Cameron “Wir sollten diejenigen sein, deren Gesichter und Stimmen auf der Leinwand erscheinen. Wir sind Expert*innen darin, unseren Schmerz, unser Leiden und, was am wichtigsten is, unsere Resilienz zu portraitieren.”

Indem Bildsprache und Kultur von Natives in Fiktionen verballhornt werden, entsteht der fatale Eindruck, Indigene Kulturen seien tot und gehörten ins Museum. Die Menschen machen heute nur noch einen winzigen Anteil der Gesamtbevölkerung Nordamerikas aus, aber sie leben und sie pflegen das kleine bißchen, was ihnen von ihrer Kultur, ihrer Sprache und Spiritualität geblieben ist; sie suchen die Puzzleteile der eigenen Identität zusammen, erforschen ihre Familiengeschichte und lassen Traditionen aktiv wieder aufleben. Sie schreiben Bücher, drehen Filme und erzählen oral tradierte Stories in den sozialen Medien und anderen Internetauftritten. Sind das nicht die Geschichten, die wir uns anhören sollten?

Dr. Autumn Asher BlackDeer von der südlichen Cheyenne Nation vertwittert zu diesem Zweck eine Liste mit Sci-Fi Produktionen Indigener Filmemacher*innen für diejenigen, die “nicht den kolonialzeitverherrlichenden Film mit blauen Leuten gucken wollen.” Kelly Lynne D’Angelo, eine Native American, die fürs Fernsehen und für Netflix schreibt, schlug vor, die Leute könnten “das avatar Geld an Native Communities spenden” statt den Film zu gucken.

Mai 2023

aka filmclub Freiburg

Quellen:

1Black, Indigenous, People of Color. Selbstbezeichnung von Rassismus betroffener Menschen.

2Entsprechend zu male gaze – dieser Terminus aus der Filmbranche ist der Blick aus männlicher und patriarchaler Perspektive, der Sexismen reproduziert – bedeutet der Begriff, daß wir aus einer weißen Perspektive schauen und damit Rassismen bewußt oder unbewußt reproduzieren. Andere Ansichten werden nicht berücksichtigt und werden damit unsichtbar gemacht. Das kann für nichtweiße Menschen sehr verletzend sein.

3Wir verwenden die Eigenbezeichnung Indigen großgeschrieben.

4Die Bezeichnung Nordamerika als Schildkröteninsel fußt auf der Schöpfungsgeschichte vieler First Nations und Native Americans (bspw. Irokesen und Algonquin) in der eine Frau durch ein Loch im Himmel auf die Welt fällt, die eine Schildkröte auf ihrem Rücken trägt.

5Die Bezeichnung der Kuna (heutiges Panamá) für das präkolonialen Südamerika.

6Wir verwenden die kursive Schreibweise von weiß, da es sich um keine Farbe handelt, sondern Machtpositionen klarmachen soll, die als Legat des Kolonialismus global bis heute überproportional an weiße Menschen gebunden sind.

7 Dabei malen sich weiße Darsteller*innen Rot, Schwarz oder Gelb an, um rassifizierte und sterotypisierte Rollen zu übernehmen. Bekanntestes Beispiel dürften die sog. „Minstrel shows“ des frühen 19. Jahrhunderts sein.